Mülheim. . Horst Hense könnte Kandidat für “Wetten, dass...?“ sein. „Das ist der nach Berlin“, sagt der 74-Jährige treffsicher, als am Ende seines Gartens auf dem Bahndamm ein Intercity vorbeirauscht. Hense lebt von Geburt an in seinem Elternhaus in Styrum, umzingelt von A 40 und den Bahnstrecken.
Hense, ein Lärmgeplagter, aber kein mürrischer. „Wenn wir hier draußen sitzen“, erzählt er, als gerade wieder ein IC im Eiltempo vorbeigezischt ist, „halten wir halt die Klappe. Wir würden ja eh’ kein Wort verstehen.“ Die Ruhepausen zwischen dem Bahnlärm sind hier kurz. Wenn dazu Südwestwind weht, das ist meistens so, kommt beständiges Rauschen der nahen A 40 dazu. „Gott sei Dank“, sagt Hense – und der Bankkaufmann a.D. meint: Dem Landesbetrieb sei Dank. „Gott sei Dank hat die Autobahn jetzt Flüsterasphalt. Das merken wir hier deutlich.“
Styrum, nahe A 40 und Bahn: Mülheims Lärmbrennpunkt schlechthin. An Henses zum Garten, zur Bahn ausgerichteten Häuserfassade werden mit 66 dB(A) tagsüber und 60 dB(A) nachts offizielle Lärmwerte ausgewiesen, die als gesundheits- gefährdend gelten.
Seit 75 Jahren im Delta zwischen Bahnstrecke und Autobahn
Der Styrumer hat da wenig Verständnis für die fortwährenden Klagen von Bürgern im Süden über Fluglärm. Anwohner der Flughafen-Siedlung, auch die auf der Saarner Kuppe, hätten doch gewusst, wo sie hinziehen. Hense selbst macht, wie seine Nachbarn ringsum, nicht viel Lärm um den Lärm. „Aber“, sagt er: „Wir haben genug Lärm hier.“ Wieder rollt eine Bahn vorbei. Diesmal die S1 Richtung Essen. Hense winkt ab. Obwohl auch nicht geräuschlos, ist die S-Bahn kein Problem für ihn. „Da vorne ist ja gleich schon der Bahnhof“, sagt der Ur-Styrumer. Will heißen: So schnell ist die S-Bahn nicht unterwegs, dass sie derart lärmt wie die Fern- und Regionalzüge. Leise sind sie trotzdem nicht.
Hense lebt fast 75 Jahre im Delta zwischen Bahnstrecke und Autobahn. Der Lärm ist beständig mehr geworden, sagt er. Der Autobahn-Bau einst, verbunden damit, dass der Bahndamm um zwei Meter erhöht wurde, was noch lauter ist. Die viel höhere Geschwindigkeit der Züge. „Besonders die Doppeldecker sind laut“, sagt er. Zum Schutz vor den RE-Doppeldeckern und anderen Bahnen hätten hier wohl alle Nachbarn Doppelfenster eingebaut. Auf eigene Kosten. Nun gibt es seit Jahren ein Lärmsanierungsprogramm der Bahn. „Es wäre schon besser, wenn eine Lärmschutzwand da wäre“, sagt Hense. Doch darauf werden er und seine Nachbarn noch Jahre warten müssen.
Mülheim ist im Lärmschutzprogramm mit vier Abschnitten vertreten
Vor dem Jahr 2017 können Mülheimer, die an lärmenden Bahnstrecken wohnen, nicht mit Schutzmaßnahmen rechnen. In der Prioritätenliste zum Lärmsanierungsprogramm der Bundesregierung stehen die Mülheimer Strecken nicht sehr weit oben. Seit 1999 setzt die Deutsche Bahn das Lärmsanierungsprogramm um. Bis zum vergangenen Jahr sind laut Bahn dafür auf 442 km Schallschutzwände errichtet worden, für 48.300 Wohnungen wurde der Einbau von Schallschutzfenstern gefördert. Insgesamt umfasst das Programm 3700 km Bahnstrecke, 1400 km sind abgearbeitet. Seit 2007 stehen jährlich 100 Mio. Euro aus dem Bundeshaushalt für eine Lärmsanierung zur Verfügung. Bis Ende 2014 werden laut Bahn 40 Mio. Euro jährlich draufgesattelt.
Mülheim ist mit vier Streckenabschnitten im Programm vertreten, über insgesamt sechs Kilometer. Laut Eisenbahnbundesamt sind hier 2470 Bürger tagsüber und gar 4270 nachts von gesundheitsgefährdendem Bahnlärm betroffen. Wie eine Bahnsprecherin am Dienstag auf Nachfrage verkündete, hat das Bundesverkehrsministerium diese Strecken aber „noch nicht zur Bearbeitung freigegeben“. Erst nach einer Freigabe könne ein Schallschutz-Gutachten in Auftrag gegeben werden.