Mülheim an der Ruhr. .

Geboren ist sie in Bagdad und vor elf Jahren mit ihrer Familie aus dem Irak nach Deutschland gekommen: Israa Al Tememy. Die 17-Jährige hat sich schnell in ihrem neuen und so grundlegend anderen Zuhause eingefunden und hat mittlerweile einen durchaus beachtlichen Weg eingeschlagen.

Israa ist Schülerin des Berufskollegs Stadtmitte und zwar eine von denen, auf die Schulleiter Jörg Brodka besonders stolz ist. Denn sie hat vieles genau so gemacht, wie Brodka sich das wünscht, hat sich vor der Entscheidung für ihre berufliche Zukunft ausreichend Zeit genommen, sich umfassend informiert. Und wusste dann: Zum Berufskolleg, da will ich hin. Erstklassige Noten und ein zufrieden strahlender Physiklehrer geben ihr recht.

Berufsorientierungstage helfen

Seit einer Woche läuft die Anmeldung für das neue Schuljahr im Berufskolleg. Schulleiter Brodka hofft, dass es in diesem Jahr weniger Neuankömmlinge geben wird, die schon nach kurzem das Handtuch schmeißen, unzufrieden sind mit der gewählten Schulform. Brodka verweist auf eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung, wonach rund 25 Prozent der Schüler die Ausbildung abbrechen; „eine zu hohe Zahl“, wie er findet.

Sein Ziel ist es, „die richtigen Schüler in die richtigen Ausbildungen zu bringen“. Dabei helfen Berufsorientierungstage, an de­nen sich Firmen vorstellen und Hochschulen, an denen die jungen Anwärter aber auch einmal live testen können, was zur angepeilten Ausbildung gehören könnte. Dabei helfen außerdem Schnuppertage im jeweiligen Fach – einen solchen Tag hatte auch Israa vor ihrer Entscheidung pro Kolleg absolviert.

Physik ist ihr Ding

Sie kam als Schülerin einer Essener Realschule nach Mülheim, und zwar nur durch einen glücklichen Zufall. „Ein Lehrer meiner Schule ist mit einem Lehrer vom Berufskolleg befreundet“, erzählt sie. So bekam Israa, deren Herz für die Naturwissenschaften schlägt, den Tipp, dass an der Kluse – dem zweiten Standort neben der Von-Bock-Straße – Wert gelegt wird auf die spannende Vermittlung von Fächern, die sonst eher als unspannend gelten: Physik, Chemie, Informatik, Elektrotechnik. . .

Die Physik, das ist ihr Ding. Die 17-Jährige lässt sich ausbilden zur Physikalischen-Technischen Assistentin, macht nebenher die Fachhochschulreife. Und will später „etwas im Bereich Physik“ studieren. Falls das nicht klappe, habe sie durch die Ausbildung „auf jeden Fall schon einen Plan B, eine Art Auffangtuch“.

Einfach anders als das Gymnasium 

Jörg Brodka freut all das; sein Konzept ist in diesem Fall aufgegangen. Es lautet: Frühzeitig und umfassend über einen Job informieren, Begeisterung entwickeln und sich gegebenenfalls auch gegen Eltern durchsetzen, die andere Ideen haben. Dann winkt der große Preis: Glück im Beruf.

„Wer geht schon aufs Berufskolleg?“ Diesen abfälligen Satz hören die rund 2500 Schüler, die an der Kluse oder der Von-Bock-Straße ausgebildet werden, häufiger. Gymnasiasten halten sich gern für etwas Besseres, heißt es, „dabei sind wir hier auch nicht so doof“, sagt Israa Al Tememy. Die Ausbildung setze halt mehr auf Praxis als auf Theorie. Was durchaus seine Berechtigung haben könne, so die 17-Jährige. „Mein Bruder zum Beispiel geht aufs Gymnasium. Aber oft ist es so, dass ich diejenige bin, die ihm etwas erklärt und nicht andersrum. Manches versteht man einfach besser, wenn man es vor sich sieht.“

Über 60 Bildungsgänge

Israa und ihre 22 Mitschüler profitieren von den gut ausgestatteten Labors, glaubt Jörg Brodka, der das Kolleg seit 2006 leitet. „Unsere Physik hat zum Beispiel nichts mit der Physik an den allgemeinbildenden Schulen zu tun. Hier hat alles viel mehr mit dem späteren Berufsalltag zu tun.“

Am Kolleg gibt es über 60 Bildungsgänge. Es findet zum einen Berufsschulunterricht statt, also Unterricht begleitend zur Lehre in einem Unternehmen. Zum anderen wird Vollzeitschule angeboten. Mit Erfolg: „Ungefähr 70 Prozent der Jugendlichen schließen unsere Angebote ab“, sagt Brodka.