Mülheim. .

„Hasse watt vergessen?“, schallt’s durch die Endmontage für die Zentrifugen. Hätte auch heißen können: Was hast du denn noch hier zu suchen? Du Rentner! So spricht das Ruhrgebiet: spöttisch, aber augenzwinkernd. Willi Petry (65) ist an alter Wirkungsstätte, der Firmenphilosophie der Siebtechnik GmbH entsprechend, heute noch so willkommen wie die anderen drei Kollegen, mit denen er gerade für ein Foto durch die Halle zieht. Petry, Peter Effmann (66), Werner Perbix (68) und Wolfgang Mamay (66) haben im vergangenen Jahr aus Ruhe- noch mal Unruhestand werden lassen. Ihr alter Arbeitgeber hatte den größten Auftrag der Firmengeschichte abzuarbeiten. Da mussten die Vier einfach mit anpacken . . .

Hochleistungszentrifugen für China

China boomt. Und die Siebtechnik partizipiert. Den Rekordauftrag bescherte ein chinesischer Pottasche-Hersteller. Er orderte für 20 Mio. Euro 40 Hochleistungszentrifugen. Für die Siebtechnik ein Auftrag gigantischen Ausmaßes, mit vorhandenen Produktionskapazitäten und Mitarbeitern nicht zu stemmen.

Es muss der 3. oder 4. November 2011 gewesen sein, da kann sich Peter Effmann gut erinnern. Das Telefon schellt, Horst Dietschreit ist dran, der Technische Geschäftsführer. 40 Zentrifugen, „eine wahnsinnige Herausforderung“! Effmann hat da schon das Büfett für 120 Personen bestellt. Der Produktionsleiter will Ende des Monats nach 42 Jahren bei der Siebtechnik seinen Ausstand geben. Jetzt fragt ihn sein Chef, ob er weitermacht – für den Großauftrag. Der Familienrat tagt. Den Ruhestand aufschieben? „Meine Kinder haben mir gesagt: Tu dir selbst den Gefallen! Du willst das doch. Mach es!“ Effmann bestellt das Büfett ab. Und überlegt mit der Geschäftsführung, welche anderen alten Kollegen mit ihm in die Bresche springen könnten.

Ruf des Arbeitsgebers

„Meine Frau wollte das eigentlich nicht“, sagt Willi Petry, zu jenem Zeitpunkt schon seit zwei Jahren in der Ruhephase der Altersteilzeit. Doch er wird am Tag seines Renteneintritts: arbeiten gehen. Dem Ruf seines Arbeitgebers zu folgen, sagt er, sei ihm doch „relativ leicht gefallen. Wer einen 40 Jahre gut ernährt hat, lässt man, wie einen guten Freund, nicht im Regen stehen.“

Wolfgang Mamay, vor seinem Ruhestand Schlosser in der mechanischen Abteilung, nimmt sich einen Teneriffa-Urlaub lang eine Bedenkzeit. „Morgens ausschlafen, in aller Ruhe Zeitung lesen“, geht ihm durch den Kopf, „schon herrlich.“ Und doch: Fortan springt er wieder um Viertel nach Fünf aus den Federn, fährt zur Weseler Straße, um von dort im Sammeltransport nach Moers zu fahren, wo die Siebtechnik eigens für den Großauftrag eine Montagehalle angemietet hat.

Es ging nicht ums Geld

„Die ersten vier Wochen“, sagt der Vierte aus der alten Garde, Werner Perbix, „war ich ziemlich platt.“ Vier Jahre ist er schon Rentner ohne Langeweile gewesen. „Du bist 68, Was willste noch arbeiten?“, hat ihn seine Frau gefragt. „Wir kommen doch mit der Rente aus.“ Es ging Perbix nicht ums Geld. Loyalität zum Arbeitgeber war ausschlaggebend. „In 40 Jahren haben wir uns nie entzweit, das Verhältnis war immer fair“, bringt er auf den Punkt, was das Quartett denkt. Und, natürlich: „So einen Wemser hatten wir noch nie produziert.“ Eine der Hochleistungszentrifugen, angetrieben von 132-Kilowatt-Motoren, bringt 13 000 Kilo auf die Waage.

Perbix schmunzelt: „Der Azubi hat die ersten drei Monate gelitten.“ Ein 21-jähriger Bursche unter lauter „Oldies“, die die Radiofrequenz auf WDR4 eingestellt haben. Er hat’s überlebt. Und die Siebtechnik den 20-Millionen-Auftrag termintreu abgearbeitet.

Seit Ende November ist der Ruhestand da. Und wenn die Geschäftsführung wieder anruft? Wolfgang Mamay lacht: „Dann brauchen wir wieder Bedenkzeit.“