Mülheim.
Günter Schulte, der im Wohnpark Dimbeck lebt, blickt auf ein bewegtes Jahr zurück. Zuletzt, im Dezember, hat der 81-Jährige einen umfangreichen Gesundheitstest samt Hirnuntersuchung „glücklich“ hinter sich gebracht.
War es Ihr eigener Wunsch, sich auf eine mögliche Demenzerkrankung untersuchen zu lassen?
Günter Schulte: Das nicht, aber ich habe eingewilligt und eine ganze Woche im evangelischen Krankenhaus verbracht.
Mit welchem Ergebnis?
Schulte: Ich bin nicht krank, aber lebenslänglich gefährdet. Ich bin einer von ihnen, von den „Vergesslichen“.
Wie meinen Sie das?
Schulte: Als ich 2008 im Wohnpark eingezogen bin, hatte ich das Korsakow-Syndrom, eine Art starker Gedächtnisstörung, die auf eine fröhliche Vergangenheit bis zum Alkoholmissbrauch schließen lässt. Am Ende musste mein rechtes Bein amputiert werden. Ich bin Diabetiker und habe nicht daran gedacht, die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Offensichtlich hielt mich damals mein Umfeld für einen Kerl mit nur noch geringer Lebenserwartung. Meine Frau ließ mich allein, aber eine von mir geschätzte Oberpflegerin hier hat mich wieder mit starker Hand hingekriegt.
Fühlen Sie sich jetzt besser als vor vier Jahren?
Schulte: Ja, natürlich. Ich habe mir in meinem Leben immer ausgerechnet, was ich noch machen will. Und ich müsste 93 Jahre alt werden, um das alles auf die Beine zu stellen.
Was haben Sie sich für 2013 vorgenommen?
Schulte: Mit der Zeit habe ich viel über die Demenzkrankheit gelernt, in Theorie und Praxis. Dank meiner Heimkameraden. Ich habe mich nie im Leben mit Medizin beschäftigt, aber das finde ich interessant. Für Demenzkranke gelten beispielsweise auch andere Regeln in der Sprache, die sie am ehesten verstehen. Konkret plane ich 2013 einen Vortrag mit selbstfotografierten Bildern über „Liebe, Kunst und Lebensart“.
Speziell für Demenzkranke?
Schulte: Ja. Kunst ist ein Mittel, um sie zu erreichen. Im März hatte ich hier im Haus eine Fotoausstellung mit 33 Bildern aus Wien. Ich habe die Bewohner in kleinen Gruppen oder einzeln durch die Schau geführt.
Sie haben früher offenbar viel fotografiert...?
Schulte: Ja, als ich aufhörte, hatte ich etwa 27.000 Dias. Ich halte die fest, die ich noch ausstellen möchte.
Ängste der Angehörigen zerstreuen
Günter Schulte, der als Unterprimaner nach Mülheim zog, ist gelernter Kaufmann und war lange in unterschiedlichen Funktionen bei der Ruhrkohle tätig. Drei Kinder hat er, die für den schwer kranken Vater 2008 sehr kurzfristig einen Platz in einer Pflegeeinrichtung finden mussten.
Sie wählten den Wohnpark Dimbeck unter dem Dach der Engelbertus-Gesellschaften, der gerade neu eröffnet worden war, aber später in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, über deren Verlauf und Lösung wir mehrfach berichtet haben. Im Sommer 2012 wurde die Einrichtung aus der Insolvenz heraus von der Anderson Holding AG als neuer Eigentümerin übernommen.
Sie gehören dem fünfköpfigen Heimbeirat der Einrichtung an. Worum kümmert dieses Gremium sich?
Schulte: Um Alles und Jedes… Sie können seine Funktion mit der eines Betriebsrates vergleichen. Wir gehören beispielsweise zum Team, das den Speiseplan bespricht. Natürlich haben wir auch enge Kontakte zur Leitung des Wohnparks.
Gibt es ein Thema, das Sie als Heimbeirat momentan besonders beschäftigt?
Schulte: Die Übernahme durch die Anderson Holding wird von vielen hier, besonders von Angehörigen, immer noch von Sorgen und Angst begleitet. Ich sehe meine Aufgabe auch darin, diese Ängste zu zerstreuen. Der Vorwurf lautet: „Sie wollen nur Geld machen!“ Aber ich bin überzeugt: nicht nur! Einige, die dort arbeiten, sind auch Idealisten.