Mülheim. .

Die grobe Strategie für den Nahverkehrsplan steht: Einen drastischen Rückbau von Straßenbahn-Infrastruktur, der verwaltungsintern aufgrund des Riesendefizits und des Sanierungsstaus bei der MVG durchaus gewichtige Fürsprecher hatte, wird es nicht geben. Außer für den Flughafen-Ast und die Linie 110 gibt es den politischen Willen, das Netz zukunftssicher zu machen. Große Eingriffe ins Busnetz stehen allerdings in Aussicht: Busse sollen künftig mehr Zubringer zur Straßenbahn sein, nicht parallel rollen und den Bahnen ihr Fahrgastpotenzial abschöpfen.

Linie 102 als Vorbild

Jean-Marc Stuhm vom Gutachterbüro „StadtVerkehr“ aus Hilden findet klare Worte für den Ist-Zustand des Mülheimer ÖPNV-Angebotes: Es gebe zu wenig barrierefreie und zu kleine Straßenbahnen, einen hohen Sanierungsstau in Teilen der Infrastruktur, eine hohe Ausfallquote und eben einen erheblichen Busparallelverkehr. Eine aktuelle Fahrgastzählung habe gar ergeben, dass über die Ruhrbrücke mehr Fahrgäste in Bussen befördert würden als unten im Tunnel mit den Linien 901 und 102. Ein solcher Tatbestand, so Stuhm, stelle die kostspielige Investition Ruhrtunnel in Frage. Durch den Parallelverkehr der Busse könne die Straßenbahn „ihre Vorteile nicht ausspielen“, die sie mit hohen Fahrgastzahlen auf der beschleunigten Durchmesserlinie 102 beweise.

Sondersitzung des Wirtschaftausschusses

Für ein Buskonzept gibt es derzeit nur grobe Überlegungen, weshalb am Donnerstagabend in der Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses Axel Hercher (Grüne) zur Manöverkritik ansetzte. Er nahm zahlreiche beispiel- wie fehlerhaft in der Gutachter-Präsentation genannte Änderungen bei Buslinien aufs Korn. Hercher brachte seinen Unmut zum Ausdruck, dass der Ausschuss im Wesentlichen nur die Zukunft der Straßenbahnen abstecken sollte. Für eine strategische Richtungsentscheidung bei der Nahverkehrsplanung sei mehr nötig: ein Gesamtnetz mit Bus und Bahn, die Takte, das Thema Barrierefreiheit . . . Hercher empfand die Gutachter-Präsentation als „peinlich“. Wie MBI und Wir-Linke argumentieren die Grünen deutlich pro Straßenbahn.

Keine Bedarfsanalyse

Wilfred Buß (SPD) ärgerte sich, dass keine Bedarfsanalyse vorgestellt worden war für Hochschulansiedlung und Neubaugebiete. Er mahnte wie Wolfgang Michels (CDU) auch an, endlich eine Bewertung der ÖPNV-Vorschläge aus Bürgerschaft und Politik vorzulegen. Offensichtlich sind sie nicht Gegenstand des Gutachter-Auftrags. Grundsätzlich aber sind sich SPD und CDU einig in der Strategie: Verzicht auf unwirtschaftliche Schienen-Kilometer und Busse als Zubringer.

Umsetzung eines neuen Nahverkehrsplans

Die Umsetzung eines neuen Nahverkehrsplans wird zum Fahrplanwechsel im Juni 2013, wie es die Gutachter skizziert hatten, nicht möglich sein. Gleich mehrere Gründe sprechen dagegen.

Grund 1: Die MVG sieht sich dazu nicht imstande. So beurteilt ihr Geschäftsführer Klaus-Peter Wandelenus die Sachlage. Frühestens 2014 werde der MVG die Umstellung möglich sein.

Umbau im Straßenbahnnetz

Wandelenus nutzte die Gunst der Stunde, in der die Sachkoalitionäre SPD und CDU grundsätzliche Sympathie für einen investitionsträchtigen Umbau im Straßenbahnnetz bekundet hatten, und forderte „einen relativ schnellen Beschluss“ der Politik zur Beschaffung 20 neuer Straßenbahnen. Die seien dringend nötig, um die Gutachter-Empfehlung in ihrem zweiten Schritt zu vollziehen (größere Straßenbahnen im 15-Minuten-Takt). Wie berichtet, können laut Gutachter nur so strukturell rund 4,7 Mio. Euro jährlich bei der MVG eingespart werden. Ohne Schritt zwei kalkuliert das Büro „StadtVerkehr“ rund 2,3 Mio. Euro Ersparnis pro Jahr.

Weitere Verzögerungen

Grund 2 für die weitere Verzögerung der ÖPNV-Planungen: SPD und CDU mussten sich am Donnerstagabend eingestehen, dass ihre politische Vorgabe von Mai, bis Ende des Jahres einen entscheidungsreifen Entwurf eines Nahverkehrsplans vorgelegt zu bekommen, allzu unrealistisch angesetzt war. Auch weil sich herausgestellt hat, dass das nun tätige Gutachterbüro quasi bei Null anzufangen hatte.

Bedarfsanalyse fehlt

Denn bereits erstellten Gutachten war die Substanz abzusprechen, obwohl viel Geld für sie geflossen ist. Und die Gutachter von „StadtVerkehr“ haben nun auch noch viele Baustellen zu bearbeiten: So ist eine mögliche Rückzahlungsverpflichtung für Fördermittel für die Haltestelle „Styrum Bahnhof“ der Linie 110 nicht eingepreist, Bedarfsanalysen fehlen ebenso wie eine Darstellung aktueller Fahrgastdaten der Linien. Und das ganze Busnetz ist noch umzustricken.

So ist von einem Beschluss für einen neuen Nahverkehrsplan Anfang 2013 keine Rede mehr. Dieter Wiechering erwartet da erst noch „einen zweiten Bericht“