Mülheim. .

Rumstehen und Zugucken gilt nicht. Claudia fasst die Reporterin an den Händen und zieht sie auf die Tanzfläche. Also Block weg und mittanzen.

Zusammen mit 100 ­anderen Partygästen im Ringlokschuppen, die sich zu Hits von ­Rihanna, David Guetta oder DJ Ötzi bewegen. Sie schwingen mit den Armen, jubeln, nicken mit dem Beat. So ausgelassen feiern wir am Freitagabend mit Claudia und den anderen Besuchern in der Disco „Grenzenlos“ – Mülheims einziger Party, auf der sich Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam vergnügen.

Jeder ist eben wie er ist

Wer mittanzen will, muss an Dennis und Marco vorbei. Die Männer machen heute wieder die Tür und passen auf, dass „keiner Stress macht.“ Sie feiern seit vielen Jahren bei Grenzenlos mit. „Weil’s Spaß macht“, sagen sie. „Und weil man hier den Umgang mit Behinderten lernt – irgendwann merkt man den Unterschied gar nicht mehr.“ Doch zeigt sich dem Neuling ein wichtiger Unterschied gleich an der Tür: Bei Grenzenlos werden die Gäste nicht nach Klamotten, Figur oder Tanzstil bewertet.

Jeder ist eben wie er ist – Punkt. Also dürfen auch wir durch. Rein in den Tanzsaal des Ringlokschuppens: „Tacata“ tönt aus den Lautsprechern und auf der Tanzfläche machen die ersten Jugendlichen Partyfotos mit ihren Handys. Die Mädels halten sich an den Händen und tanzen zu Rihanna, während am Rand zwei Jungs hinter ihren eigenen Rollstühlen stehen und im Takt wippen. Viele haben sich hübsch gemacht, etwas geschminkt oder Rock und Top übergestreift – wie in einer ganz normalen Disco.

Flirten und feiern

„Hier wird genauso geflirtet und Bier getrunken“, sagt Stephan Bevermeier, der Grenzenlos organisiert. 1995 wurde die Partyreihe von Alfred Beyer ins Leben gerufen und bis heute begleitet. Seit 1998 betreut Bevermeier die Party, die mittlerweile weit über die Grenzen Mülheims hinaus bekannt ist. „Die Leute kommen aus Düsseldorf, Essen oder Duisburg“, sagt Bevermeier. Schließlich gebe es nicht viele professionelle integrative Partys.

Mitfeiern können Menschen mit und ­ohne Handicap – darunter Geistig-, Körper- oder Lernbehinderte sowie Betreuer, Familien und Freunde. ­Jeden zweiten Freitag im Monat kommen etwa 120 bis 150 Besucher von 19 bis 22 Uhr. Kooperationen gibt es mit verschiedenen Einrichtungen, darunter die Theodor-Fliedner-Stiftung oder die Remberg Schule. „Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Leute reinschauen, die nicht behindert sind“, meint ­Bevermeier. „Um Hemmungen und Berührungsängste abzubauen.“ Und damit sie sehen, wie gut es sich gemeinsam feiern lässt.

Stimmung auf dem Höhepunkt 

Stefan Schroer weiß, was seine Partygäste hören wollen. „Chartmusik und Discofox“, sagt der ehrenamtliche DJ und stülpt sich seine Kopfhörer über. Er wippt mit dem Oberkörper und schiebt die Regler am Mischpult weiter nach oben. „I follow River“ dröhnt aus den Lautsprechern – im Saal unter ihm tanzt die Menge. Es ist 20 Uhr und die Stimmung scheint schon auf dem Höhepunkt.

Christian, Kathrin und Claudia wohnen im Essener Franz Sales Haus, für Menschen mit geistiger Behinderung, und besuchen mit ihren Betreuerinnen zum ersten Mal die Grenzenlos-Disco. Christian (22) hört gerne Hip-Hop und lässt sich nicht lange zum Foto auf die Tanzfläche bitten. Gemeinsam mit Claudia und Kathrin schmeißen sie sich in Party-Pose. „Die Mädels waren vorher ganz aufgeregt und haben sich aufgestylt“, verraten die Betreuerinnen. Sonst gebe es nicht viele solcher Angebote für junge Menschen mit Handicap – dabei wollten sie auch einfach nur mal feiern. Zum Beweis genügt ein Blick auf die Tanzfläche: Dort hüpft Claudia im pinken Scheinwerferlicht im Takt der Musik – und strahlt.

Angebot ist ausbaufähig

Info: Welche Freizeit-Angebote gibt es für Menschen mit Handicap? „14 544 Mülheimer sind zwischen 16 und 65 Jahre alt und haben einen Behinderungsgrad, der zwischen 20 und 100 Prozent liegt“, weiß Felicitas Bütefür, Behindertenkoordinatorin im Gesundheitsamt.

All diese Menschen möchten Spaß haben und ihre freie Zeit sinnvoll gestalten. Je nach Art und Schwere der Behinderung gibt es verschiedene Angebote. „Die meisten Aktivitäten werden in Selbsthilfe angeboten.“ Und: „Das Angebot ist ausbaufähig“, weiß Felicitas Bütefür. Mehr Inklusionsgedanke, also auch mehr niedrigschwelligere Angebote – vor allem in „normalen“ Vereinen würde sie sich wünschen.

Keinen Unterschied zwischen behindert und nichtbehindert macht der Verein für Bewegungsförderung und Gesundheitssport (www.vbgs-muelheim.de). Dieser bündelt Angebote: z.B. Internetcafé, Schwimmen, Skilaufen, Töpfern.

Auf sinnvolle Beschäftigung für Menschen mit geistiger Behinderung setzt der Mülheimer Hobby- und Freizeit-Club (www.mhfc2001.de). Dort treffen sich Teilnehmer zu Boccia, Kegeln oder Schießstunden.

Alle Angebote sowie Anlaufstellen hat die Stadt in einem Internetwegweiser zusammen gefasst: www.muelheim-ruhr.de. Mehr Info bei Felicitas Bütefür, 455 53 67.