Mülheim-Selbeck..

Das Dorf wird 25 - es ist so vielfältig wie seine Bewohner. 600 behinderte und nichtbehinderte Menschen leben hier zusammen - in charmanten Vierteln, die architektonisch ganz unterschiedlich gestaltet sind. Uwe Wolfs, Leiter des Bereichs Wohnen im Alter, arbeitet im Fliednerdorf, seit es 1987 gegründet wurde. Er stellt uns Frauen und Männer vor, die hier ihr Zuhause oder ihren Arbeitsplatz haben.

Günter Kleinpass (50)

Auf dem Fußballplatz geht es rund. Der Ball rollt und der Duft von Würstchen liegt in der Luft. Ein Kicker-Team aus dem Fliednerdorf tritt gegen ein paar Jungs von der Realschule Mellinghofer Straße an. Günter Kleinpass steht an der Seitenlinie, coacht seine Leute. Er ist Mitarbeiter der Fliedner-Werkstätten und dort für die betriebliche Gesundheitsvorsorge zuständig. An die 640 behinderte Menschen und 130 nichtbehinderte Mitarbeiter versucht er zu mobilisieren - in Reha-, Präventions- oder Breitensportgruppen. „Fußball ist besonders beliebt, wir haben rund 60 Teilnehmer und drei Mannschaften“, sagt der Sportbeauftragte, der einst als Zivi ins Dorf kam. Aber auch Wirbelsäulen- oder Fitnessgymnastik, Bewegungsspiele, Lauftreffs, Entspannungstrainings, Schwimmkurse und vieles mehr kann er seinen Fliedner-Leuten anbieten. Und: Es gibt sogar ein Drachenbootteam.

Anne Jansen (55)

Wohnen und arbeiten an einem Ort - Anne Jansen tut das seit 20 Jahren. „Hier draußen in der Natur sieht man Rehe, hört man den Kuckuck“, schwärmt sie. Ihre Kinder sind im Dorf aufgewachsen, sie selber will hier nicht wegziehen. Kurze Wege erleichtern ihr den Alltag.

Normalerweise ist sie als Hauswirtschaftsleiterin im Seniorenbereich unterwegs, heute schmeißt sie den kleinen Laden - eine Anlaufstelle für viele Dorfbewohner. „Zigaretten, Süßigkeiten, Bier“, zählt sie die drei gängigsten Verkaufsartikel auf. Ist ein Produkt nicht im Sortiment, besorgen die Laden-Mitarbeiterinnen es woanders für ihre Kunden. Viele Einkäufer ordern zum Schluss einen Kaffee, den sie auf der Terrasse vor dem Lädchen trinken. „Die meisten wollen auch mit mir ein bisschen quatschen, von ihren Erlebnissen und ihren Wehwehchen berichten“, sagt Anne Jansen. Typisch Tante-Emma-Laden eben.

Helmut Leusmann (68)

„Lesen, lesen, lesen“ heißt die Lieblingsbeschäftigung von Helmut Leusmann. Seit fünfeinhalb Jahren lebt er im Dorf, mittlerweile im stationären Wohnbereich für Senioren. „Ich fühle mich heimisch hier, bekomme Essen, habe eine gute medizinische und soziale Betreuung“, sagt er. Das ist wichtig, denn der Rentner leidet an einer Bipolaren Störung und an der Parkinsonschen Krankheit. Langweilig ist es ihm eigentlich nie. „Ich spiele hier drei Mal in der Woche Skat, gehe spazieren, fahre mit dem Bus in die Stadt oder hole mir im Gelben Salon eine Tagezeitung und lese“, erzählt er. In seinem Regal stehen viele Bildbände über fremde Länder. Sozialbetreuerin Barbara Schmidt begleitet ihn beim Einkaufen. „Das klappt sehr gut, sie ist mir eine große Hilfe“, findet Helmut Leusmann.

Emilie Jahr (82)

Ihren Ohrensessel hat die dreifache Urgroßmutter von zu Hause mitgebracht. In ihre kleine Wohnung im „Waldhof“, einem Gebäudekomplex für Betreutes Wohnen, haben aber nur wenige ihrer früheren Möbelstücke gepasst. Dennoch: Emilie Jahr gefällt es hier gut. „Ich habe nette Bekannte, gehe viel raus“, berichtet sie. Turnen, Schwimmen, gemeinsame Frühstücke und Spaziergänge mit dem Rollator stehen fest auf ihrem Stundenplan. Den Kontakt zum Fliednerdorf hatte sie lange, bevor sie hier einzog. „Die Gemeindeschwestern aus Saarn hatten mich mit zwei Mündeln bekannt gemacht, die im Dorf lebten. Die beiden leicht behinderten Frauen besuchten uns früher oft in unserem Haus, das gar nicht so weit von hier entfernt ist“, erinnert sich die alte Dame. Ihr Mann wurde im Dorf gepflegt, bevor er starb. Sie selber ist noch sehr selbstständig, kocht für sich, geht mit Fliedner-Gruppen auf Reisen und trägt mit Vorliebe bei Feiern Gedichte vor.

Norbert Rasch (48)

In seiner WG gibt es „eigentlich nie Zoff“: „Wir kommen gut miteinandner aus“, sagt Norbert Rasch über sich und seine neun Mitbewohner in der Wohngruppe für behinderte Menschen im Haus 9. Woanders leben möchte er gar nicht. Denn: Die Tagesstrukturgruppe, in der er werktags Holzarbeiten verrichtet, sei in der Nähe und das Dorf biete viele Freizeitmöglichkeiten. „Ich helfe gerne in der Disco mit, sammele Gläser ein und spüle“, berichtet er. Außerdem spielt er in der integrativen Band „Spirit Steps“ mit, ist dort der Mann am Keyboard. „Wir suchen übrigens noch Sponsoren für unsere neue CD“, erklärt er augenzwinkernd. Ein Bewohner der ersten Stunde ist Norbert Rasch nur fast, er lebt seit 24 Jahren hier.

Das Dorf wird 25 - es ist so vielfältig, wie seine Bewohner. Das bunte Miteinander zeigt sich an beliebten Treffpunkten wie der Kirche, dem Café, dem Friseur und dem Laden oder bei Festen auf dem Dorfplatz. Dort wird auch das 25-jährige Bestehen gefeiert. Ganz groß.