Mülheim.

Gefördert durch die Leonhard-Stinnes-Stiftung steht auf dem Programmzettel, den Besucher der „Spätlese“-Premiere in die Hand gedrückt bekommen. Ein Auslaufmodell. Denn die Stiftung will sich aus der Theaterförderung zurückziehen. Das 38-köpfige Ensemble um Eckhard Friedl spielt mit „Nachtmahl“ im voll besetzten Theaterstudio an der Adolfstraße sein 23. Stück. Wenn es für das Theater schlecht läuft und niemand die Lücke füllt, die die Leonhard-Stinnes-Stiftung hinterlassen wird, könnte es das letzte gewesen sein.

Die Sätze klingen aktuell

Auf der Bühne geht es tragikkomisch zu. Menschen lamentieren in einer Kneipe über die Schlechtigkeit der Welt und über die Ungerechtigkeit ihres Schicksals, ehe sie am Ende vom bleichen Gevatter mit einer Polonaise ins Jenseits geführt werden. Der warnende Chor: „Das darf doch nicht wahr sein. Das darf man nicht zulassen. Wir wissen es doch besser. Bedenkt die Folgen. Falsche Entscheidungen verdienen keinen Applaus“, erinnert daran, dass die tragischen Helden anno 2012 aus der griechischen Mythologie stammen.

Die Sätze klingen aktuell und dem Theater Spätlese auf den Leib geschrieben. „Als wir das Stück vor einem Jahr entwickelt haben, war unsere Situation noch nicht so akut wie heute. Doch wenn bestimmte Sätze und Dialoge vom Publikum auf unsere jetzige Situation bezogen worden sein sollten, wäre mir das auch nicht ganz unrecht“, sagt Theaterleiter Friedl nach dem letzten Vorhang.

Man sieht ihnen ihre Probleme nicht an

Dass sie unter dem Damoklesschwert des Finanzierungsvorbehaltes spielen, merkt man nicht: Der Zuschauer spürt und sieht wie immer intensive Spielfreude, die Charaktere und Darsteller eins werden lassen. Nur zweimal in 90 Spielminuten muss Souffleuse Ursula Roth bei Texthängern helfen.

„Vor unserem Auftritt habe ich unserem Ensemble gesagt: Denkt dran: Wir spielen um unsere Existenz. Nur wenn wir gut sind, werden vielleicht auch Sponsoren gut zu uns sein“, sagt Senior-Schauspieler Jochen Keienburg, alias Helios, später bei der Premierenfeier. „Unsere finanzielle Situation hat für uns auf der Bühne keine Rolle gespielt.

Wir waren sehr konzentriert, besser als bei den Proben, und haben gespürt, dass uns das Publikum trägt“, resümiert sein Ensemblekollege Günter Stelkens, der den Paris gab. Doch dann fügt er noch hinzu: „Ganz aus dem Kopf zu streichen ist das natürlich nicht. Wir hoffen auf ein Wunder.“ Und dann denkt er noch darüber nach, „dass in Mülheim ja 47 Millionäre leben sollen.“ Wer weiß. Vielleicht ist ja ein Freund des reifen Theaters unter ihnen.