Mülheim. .

Er ist der neue Star in Saarn – und macht daraus kein großes Federlesen: Ein Uhu sorgt seit mehreren Wochen für Aufruhr unter den heimischen Vögeln und Anwohnern auf der Saarner Höhe. Denn der seltene Greifvogel legt kein arttypisches Verhalten an den Tag.

Das findet auch Christa Koch aus Saarn. Wie die meisten anderen Menschen, hatte sie noch nie einen Uhu in freier Wildbahn gesehen, „sondern nur in der Gruga in Käfigen“. Seit Mitte Juni aber ist eines der scheuen Raubtiere treuer Gast in ihrer Straße. „Gestern Nachmittag saß er wieder hier“, deutet sie aus ihrem Schlafzimmerfenster auf eine Birke fünfzig Meter geradeaus. Jetzt um die Mittagszeit ist der Baum verlassen, nur eine Elster hopst durch das Geäst. „Der Uhu ist durch seine Tarnfarbe schlecht zu erkennen“, sagt Christa Koch, „dabei ist er riesig, viel größer als die Tiere in der Gruga.“ Zur Verdeutlichung reckt die junge Frau die Hände etwa 70 Zentimeter weit auseinander. „Wenn er da ist, bleibt er immer für mehrere Stunden sitzen, auch am Tag“, erzählt sie. „Ich wüsste gern, warum der hier ist, normal ist das ja nicht.“

Fast ausgestorben

Dem kann Elke Brandt, Vogelexpertin vom Nabu, nur zustimmen. „Uhu-Beobachtungen in freier Wildbahn sind selten“, sagt sie. Anfang der 60er Jahre hätten die großen Raubvögel kurz vor dem Aussterben gestanden. Seitdem seien sie streng geschützt, würden vielerorts über Zuchtprogramme wieder ausgewildert. „Vor ungefähr zehn Jahren ist ein Jungvogel im Naturschutzgebiet Kocks Loch nachgewiesen worden“, erinnert sich die Vogelexpertin. Seitdem waren ihr keine weiteren Beobachtungen in Mülheim bekannt. Denn obwohl die Tiere mit einer Größe von 60 bis 73 Zentimetern und einer Flügelspannweite von 1,40 bis 1,80 Metern sehr groß sind, werden sie nur selten gesichtet. Uhus sind nicht nur nachtaktiv, sondern auch menschenscheu – normalerweise.

Bei dem Saarner Tier scheint das anders zu sein: „Die Nachbarn sind zusammengelaufen, es kamen immer mehr, und alle haben nach oben geschaut“, schildert Christa Koch die erste Begegnung. „Der Uhu ist ein richtiger Star geworden und wurde unter Blitzlichtgewitter fotografiert – ohne sich stören zu lassen.“

Möglicherweise eine Handaufzucht 

„Erstaunlich“ findet das der Nabu. Der Vogel zeige kein normales Fluchtverhalten. Als „sehr ungewöhnlich“ stuft auch Martin Böckenhoff, Förster am Auberg, das Verhalten des Tieres ein. Beide Experten vermuten: Es muss sich um eine Handaufzucht, einen „Gefangenschaftsflüchtling“, handeln.

Von April bis Mai war in Duisburg ein Uhu mehrfach in Gärten und an der Sechs-Seen-Platte gesichtet worden, anschließend in Kettwig. „Es ist naheliegend, dass es derselbe ist“, vermutet Elke Brandt. „Duisburg, Kettwig, Mülheim – das ist für einen Uhu keine Entfernung.“ Gechipt oder beringt war das Duisburger Tier nicht, wie die dortige Vogelpflegestation feststellte, nachdem der Uhu eines Tages völlig durchnässt aus einem Zaun aufgelesen worden war. „Deshalb wurde er als Wildtier behandelt und Anfang Juni an der Sechs-Seen-Platte wieder in die Freiheit entlassen“, weiß Elke Brandt.

Taube und Eichhörnchen verspeist

Dass der Uhu in freier Wildbahn klar kommt, hat er mittlerweile bewiesen: „Er hat eine Taube gerissen und auf dem Dach über meinem Küchenfenster verspeist“, hat Christa Koch beobachtet. Der mit Taubenfedern übersäte Saarner Garten zeugt von einem kurzen Prozess. Auch ein Eichhörnchen musste dran glauben. „Kleine Nagetiere sind der Nahrungsschwerpunkt“, sagt Vogelexpertin Elke Brandt. Die großen Eulen schrecken aber auch vor kleineren Verwandten wie Wald- und Steinkauz oder Säugetieren wie Hase und Rehkitz als Mahlzeit nicht zurück.

Natürliche Veranlagungen kommen meistens zurück

„Je länger die Tiere in der Freiheit bleiben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die natürlichen Veranlagungen wieder zutage kommen“, so Elke Brandt. „Es wäre dem Saarner Uhu zu wünschen, dass er ein uhu-typisches Verhalten entwickelt.“ Zu seinem eigenen Schutz.

Das wünscht sich auch Christa Koch: So sehr sie sich auch über ihre Uhu-Beobachtungen gefreut hat, so langsam könne er sich ruhig ein anderes Plätzchen suchen, sagt sie mit Blick auf die Hinterlassenschaften im Garten. Aber auch etwas Schönes hat der Raubvogel hinterlassen: eine große Feder. Die will Christa Koch auf jeden Fall behalten. Als Andenken an einen (normalerweise) seltenen Gast.