Mülheim. .

Wie sehr dieses Gebäude mit dem Viertel verbunden ist, spüren Antonella von der Heiden und ihr Team immer wieder. Dann nämlich, wenn jemand an der Tür klingelt und fragt, ob er sich das Haus angucken kann. Weil er selbst dort zur Schule ging oder der Vater, die Mutter, der Opa. Und das kommt öfter vor, als man meint. Dabei schellt es dort seit weit mehr als fünf Jahrzehnten nicht mehr zum Unterricht. Seit 1963 werden am Priesters Hof behinderte Kinder betreut, heute in einer integrativen Kindertagesstätte, die Antonella von der Heiden leitet. Doch dieses Kapitel wird 2013 nach 50 Jahren enden.

Die Strenge ist verschwunden

In geschwungenen Buchstaben steht es auf dem Schild über dem Eingang: „Ehemalige Bismarckschule“. 1902 wurde die eröffnet und die Jungen und Mädchen der benachbarten Mausegattsiedlung und aus der Heißener Umgebung lernten dort Lesen, Schreiben, Rechnen. Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, zeigt das zweite Schild, das unter dem anderen baumelt. „Villa Kunterbunt“ steht darauf, jeder Buchstabe ist in einer anderen Farbe geschrieben. Und ebenso kunterbunt geht es drinnen weiter: Hier sind die Wände gelb gestrichen, dort blau, apricot, sind gar von Kinderhand mit einem Gemälde verziert.

Die Strenge ist aus dem Backsteingebäude verschwunden. In den einstigen Klassenräumen treffen sich nun die Nilpferd-Gruppe, die Wichtel und die Spatzen. Lichterketten hängen an den Wänden, Baldchine und Mobiles baumeln von den Decken, Kletter- und Spielgeräte sind in Räumen aufgebaut, Turnmatten sind ausgelegt, kleine Tische, Stühle und Regale aufgestellt. Überall hängen Fotos der Kinder an den Wänden, heimelig, gemütlich, kindgerecht wirkt es.

Einrichtung weitete sich aus

Auch das sah 1963 anders aus. Damals richtete die Stadt eine „Tagesstätte für das geistig behinderte Kind“ ein. Eine sonderpädagogische Gruppe war das, die nur das Erdgeschoss benutzte. Doch die Einrichtung weitete sich aus, nahm mit der Zeit auch körperlich eingeschränkte und nicht behinderte Kinder auf. 1988 kam eine zweite Einrichtung hinzu, die Kinder unter drei Jahren betreute. Es war das zweite Angebot dieser Art in Mülheim. 1996 verschmolzen die beiden Angebote zu einem – der Villa Kunterbunt. Seit drei Jahren werden dort auch eingeschränkte U3-Kinder aufgenommen.

Gebäude nur bedingt geeignet

70 Plätze bietet die Einrichtung. Aktuell besuchen 20 Kinder mit Beeinträchtigung – teils sind sie mehrfach- und schwerstbehindert – den Kindergarten, 20 weitere sind U3, der Rest hat kein Handicap. Nach den Sommerferien werden 15 Kinder eingeschult, ihre Plätze werden vorerst nicht wieder besetzt. Denn das Gebäude, so liebevoll gestaltet und schön es von Außen anzusehen ist, ist für einen integrativen Kindergarten nur bedingt geeignet. Der Brandschutz wurde bereits bemängelt und nachträglich verbessert.

Die Mängel offenbaren sich beim Rundgang durchs Haus. Da ist der Keller, der nicht mehr benutzt werden darf, obwohl die Turnhalle perfekt eingerichtet ist. Messungen haben leicht erhöhte Werte durch Feuchtigkeit ergeben – für Kinder mit vernarbten Lungen zu gefährlich. Da sind die Nachtspeicherheizungen, die summen und rattern.

Einrichtung soll umziehen

Da ist das Dachgeschoss, die einstige Hausmeisterwohnung, in der nur noch Eins-zu-Eins-Therapie abgehalten werden kann, die Feuerwehr will es so. Doch vor allem sind da die Treppen dazwischen. Gedrechselt sind die Geländer und schön anzusehen, doch für kleine Kinderbeine sind die Stufen eine Herausforderung und für behinderte Kinder nicht alleine zu bewältigen. Von „langen Wegen“ spricht Antonella von der Heiden dann auch und davon, „dass man das Konzept den Räumen anpasst“.

Bald soll es andersherum sein. Im kommenden Jahr soll die Einrichtung umziehen, wahrscheinlich in ein neu gebautes Gebäude. Laut Frank Buchwald, Leiter des städtischen Immobilienservice, stehen aktuell zwei Grundstücke zur Wahl, die nach der Sommerpause zur Diskussion in die Politik gegeben werden sollen.

"Ein besonderer Charme"

„Einen besonderen Charme“ bescheinigt Antonella von der Heiden, die seit über 20 Jahren in der Einrichtung arbeitet, dem Gebäude, mit dem sie und ihr 27-köpfiges Team sich „sehr verbunden fühlt“. Dennoch muss etwas Neues her: Im Sommer 2013 wird nach 51 Jahren die integrative Arbeit in dem Gebäude enden. Bei der Stadt bereitet man sich bereits auf die Vermarktung vor, denn das 110 Jahre alte Haus wird verkauft. Unter Denkmalschutz steht es übrigens nicht. Das einzige Denkmal steht auf dem einstigen Schulhof: eine mächtige Platane.