Schlange stehen für Brot und Salat bei der Mülheimer Tafel
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Mülheim. . Über 100 bedürftige Menschen nutzen regelmäßig das Angebot der Tafel des Diakoniewerks an der Georgstraße in Mülheim. Nicht immer gibt es genug Lebensmittel, um die große Nachfrage zu stillen. Redakteurin Margitta Ulbricht hat einmal ausprobiert, wie es sich anfühlt, in der Schlage zu stehen.
Wer hier hin kommt, der braucht das richtige Rüstzeug: Einen „Hackenporsche“ im besten Fall, regendichte Klamotten, Standfestigkeit und Geduld. Doch diejenigen, die täglich an der Tafel Schlange stehen, die sind von Porsche und höheren Sphären weit entfernt. Die Menschen, die hier hinkommen, die sind ganz unten angelangt oder wieder am Anfang – alles eine Sache der Perspektive. Inkognito wollte ich mal erleben, wie sich das anfühlt, für Lebensmittel anzustehen.
Nicht gut, kann ich Ihnen sagen. Und das fing schon damit an, dass ich schlecht ausgestattet war mit meinem kleinen Leinenbeutel, klatschnassen Hosenbeinen und kalten Füßen. An diesem windigen Dienstagmorgen im strömenden Regen versagt selbst der riesige Regenschirm.
Suppe für 1,50 Euro
Zweimal täglich ist Ausgabe an der Tafel des Diakoniewerks an der Georgstraße. Kurz vor elf bin ich da und die geschätzte 80. in der Schlange, die am gelben Absperrband vor den Ausgabestellen wartet. Derweil lasse ich den Blick übers Gelände schweifen, das sich zu einer Art Einkaufszentrum für Arme entwickelt hat. Es gibt dort fast alles für den alltäglichen Bedarf – und für kleines Geld: Neben Lebensmitteln auch Möbel, Lampen, Geschirr, Klamotten, eine Kantine und mehr. Auf einer Tafel stehen die Tagesgerichte: Partysuppe für 1,50 €, Leberkäse-Spieße mit Bratkartoffeln für 2 € und für 3,50 € sind Rindfleisch-Röllchen mit Beilage zu haben.
Mit den Leuten, die vor mir stehen, versuche ich ins Gespräch zu kommen – was meist an der Sprachbarriere scheitert. Ein Gewirr von Türkisch, Russisch, Polnisch und anderen Sprach-Melodien hat sich breit gemacht. Aber man kennt sich untereinander. Und hält zusammen. Eine Frau, die bepackt auf dem Rückweg ist, kommt mit einer Tüte voller Basilikum vorbei und drückt einer anderen, die noch in der Schlange steht, ein großes Bündel davon in die Hand. Die bedankt sich gestenreich – auf arabisch.
Die Warteschlange als Übungsfeld
Direkt vor mir steht eine Frau mit besticktem Kopftuch. Ich spreche sie an und bekomme als Antwort: „Ich nicht deutsch.“ Dafür komme ich mit ihrer Begleiterin, einer sehr sozial engagierten Mülheimerin, schnell ins Gespräch. So erfahre ich etwas über das Schicksal der Frau, die aus Afghanistan kommt, fünf Kinder hat und deren Ehemann von den Taliban umgebracht wurde. Sie sei dann mit ihren Kindern nach Deutschland geflohen, erzählt die Begleiterin, die ihr Starthilfe in Deutsch gibt.
Und da ist die Warteschlange ein Übungsfeld, die Zeit zu überbrücken und Wörter zu lernen – fünf Kinder, drei Mädchen und zwei Jungen, Basilikum, Sonne, Tomaten. . . Zwischendurch kommt’s zu Irritationen, ob wir eine Wartemarke ziehen müssen. Nein, heute nicht, geht es durch die Reihe, denn bei dem strömenden Regen sind nicht so viele wie sonst gekommen. An manchen Tagen sind es 130 bis 150 bedürftige Menschen, die sich Lebensmittel an der Tafel holen.
Kaum Kühlware
Erst geht’s langsam voran, dann aber immer schneller. Eine Mitarbeiterin sorgt für den geordneten Ablauf. Als ich dran bin, wird mir auch klar warum, denn außer Brot, das es noch mengenweise gibt, und einem Sonderposten Salat ist alles geräumt. An einem der Ausgabeschalter bestelle ich bei dem netten jungen Mann ein Brot, was er mir flugs in den Leinenbeutel packt. Daneben steht einer mit gebrauchsfertigem Salat in Ein-Kilo-Packungen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum am selben Tag abläuft. „Da, nehmen Se noch einen, Salat ist gesund“, sagt der Mann.
Dürftig sieht’s bei Obst, Joghurt, Milch, Wurst, Käse, Aufschnitt und Sachen aus der Kühlung aus. Dienstags ist kein guter Tag, da geben die Händler weniger ab, weiß einer. Auch bei der zweiten Ausgaberunde an diesem Tag werden es nur neun Pakete Aufschnitt, rund 20 Liter Milch und 50 Joghurts sein. Neun von 100 Menschen, die Aufschnitt bekommen. „Man steckt ja nie drin, was die Händler abgeben“, sagt eine Mitarbeiterin. Mal viel, mal wenig, mal von diesem und jenem – wer weiß das schon?
Thekenteam mit Herz
In der Kantine genehmige ich mir einen Cappuccino – lecker für 1 €. Eine ältere Dame kramt in der Geldbörse nach 1,50 € für ein Stück Kuchen und schüttelt den Kopf. „Ich hab’ nicht so viel.“ Da drückt der Mann hinter der Theke ein Auge zu. Eine andere Seniorin sitzt an einem der großen Holztische und löffelt hungrig die Suppe mit Gemüse.
Ich schlendere weiter zu der Geschirr-Abteilung mit den Teilen aus Haushaltsauflösungen. Teller, Service, Gläser, Nippes wie aus Omas Zeiten. Ein älterer türkischer Mann prüft gerade Keramikteller. „Teller gut?“, fragt er mich und ich zucke mit den Schultern. Einzelteile gibt’s schon für 10 und 50 Cent. Ach, und in der „Boutique“ sind heute Damenblusen für 1 € im Angebot. Frauen stöbern in der Halle mit gebrauchter Kleidung, wo es ein bisschen nach Mottenkugeln muffelt. Während eine Dame Kleider vor dem Spiegel probiert, feilscht ein jüngerer Mann um ein paar Schuhe.
Auch ich mache mich auf die nassen Socken mit einer Tüte mit einem Brot und zwei Kilo gebrauchsfertigem Salat. Nach diesem Vormittag bin ich um gewonnene Einsichten reicher – in den Überfluss und die soziale Not. Auf dem Rückweg in eine „andere Welt“ fällt mir an der Georgstraße ein Plakat mit dem Spruch ins Auge, der bezeichnender nicht sein kann für die Situation der Menschen, die zur Tafel kommen: „Mut ist zu kämpfen – auch wenn der Gegner übermächtig ist.“
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