Mülheim. .
Böse Zungen behaupten, die Kneipe sei nie gestrichen worden. Ist sie aber doch. Es hat nur nie jemand gemerkt. „Ocker 7“, sagt Rudi Hilberath, ist die Farbe, die jedes Mal an die Wände kam, damit es nach der Renovierung aussah, wie vor der Renovierung. Denn der „Marktplatz“ ist Kult, die Einrichtung aus grobem Echtholz, die Karibik-Fototapete, die nikotin-, Pardon, ocker-farbenden Wände, die Partys und vor allem der Wirt. Am heutigen Samstag steht Rudi Hilberath zum letzten Mal an der Friedrich-Ebert-Straße 72 hinter der Theke.
„Eine Legende geht“, sagt Rudi Hilberath und meint damit sich selbst. Was wahr ist, muss nun einmal wahr bleiben. „Die meisten gehen nicht in den Marktplatz, sondern zum Rudi.“ Das Du gehört dazu. Immerhin kennt der Wirt viele seiner Gäste seit Jahren; auch der harte Kern des Kellnerteams ist seit Jahrzehnten dabei und wichtiger Teil der guten Stimmung. „Das Publikum“, sagt der 53-Jährige, „ist mit uns gegangen.“
Besuch von Campino und Jürgen von der Lippe
1987 hat er als Aushilfe im Marktplatz, den es seit 1983 gibt, angefangen, hat gezapft und gekellnert. Dann übernahm Hilberath die Kneipe, seit einigen Jahren betreibt er sie gemeinsam mit einem Partner. Doch das Konzept ist dasselbe geblieben und viele der Lieder, die aus den Boxen dröhnen, auch. New York, New York, zum Beispiel, Country Roads oder Hits der Toten Hosen gehören zu einem richtigen Abend im Marktplatz dazu. „Es gibt Lieder, wie ,Mit 18’ von Marius Müller Westernhagen, die brauche ich nur anzuspielen und die ganze Bude singt mit“, sagt Rudi Hilberath. Laut geht es dann zu, die Musik ist immer voll aufgedreht, die Boxen „bieten richtig guten Sound“.
Es gibt viele schöne Abende, an die der Mülheimer gerne zurückdenkt. Wie an seinen 40. Geburtstag, als Jürgen von der Lippe im Schlepptau von Kim Merz vorbeischaute oder an den Besuch von Campino. An das Konzert von „Clockwork“, dem Vorläufer von FKK, als die Gäste die gedruckten Eintrittskarten aus dem Toilettenfenster reichten und sich mehr als 200 Leute in dem Laden knubbelten. Oder an den Abend 1990 als Deutschland Fußball-Weltmeister wurde. „Da standen 1000 Leute auf der Straße und um kurz nach 12 hatten wir kein Bier mehr.“
Abschlied lange durchdacht
Dass auch seine Gäste viele schöne Erinnerungen mit seiner Kneipe verbinden, hat Rudi Hilberath in den vergangenen Wochen gespürt. Viele kamen, um sich persönlich zu verabschieden. Er bekam Anrufe und SMS. Da wurden gar gestandene Männer emotional. Auch für den Wirt wird es seltsam, Samstag dort sein letztes Bier zu zapfen, doch sein Abschied ist wohl durchdacht. „Der Entschluss ist über längere Zeit gereift. Es ist ein Nachtgeschäft und ich bin jetzt über 50. . .“ Da will er nicht mehr bis spät in die Nacht hinterm Tresen stehen. Zumal der Umsatz nicht mehr derselbe ist wie vor 15 Jahren. Auch das kommende Nichtraucherschutzgesetz sieht er kritisch, denn im Marktplatz schaut man auf eine Zigarette und ein Bier – früher nur Alt, heute auch Pils – vorbei. Am 1. Juli gibt Rudi Hilberath den Schlüssel an seinen Nachfolger ab. Der Marktplatz bleibt eine Kneipe, wird aber anders heißen. Der Kult-Wirt selbst hat in der Gastronomie ein anderes Betätigungsfeld gefunden. Denn um über 25 Jahre am Zapfhahn zu arbeiten, „muss man Gastronomie leben“.