Mülheim. . Ein Fallbeispiel aus dem Rathaus zeigt, dass ein falsch konstruierter Aufzug Barrieren schaffen kann, statt sie zu überwinden

Als das Rathaus 1916 fertiggestellt wurde, war von Barrierefreiheit noch keine Rede. Der Aufzug im Rathausturm diente nicht den Bürgern, sondern war nur für den verwaltungsinternen Gebrauch gedacht, wenn etwa der Rathausturm beflaggt werden musste.

Heute ist das modernisierte Rathaus, in dem die Stadt Mieter und der SWB Eigentümer ist, barrierefrei und für jeden Bürger zugänglich. Demokratie und Demografie machen es möglich und nötig. Fast 30 Prozent der Mülheimer sind heute über 60. Die Zahl der alten und behinderten Menschen nimmt zu. Deshalb wurden bei der Rathaussanierung acht Aufzüge eingebaut, um das Rathaus im Sinne von Bürgernähe und Barrierefreiheit auf allen Etagen und für alle zugänglich zu machen. „Das ist keine leichte Aufgabe, weil das Gebäude sehr verschachtelt ist“, sagt Projektleiter Markus Nieder vom SWB.

Aufzugtür öffnet seitlich

Dabei steckt der Teufel im Detail, wie ein NRZ-Leser jetzt beim Gang ins Briefwahllokal feststellen musste. Gang ist eigentlich nicht das richtige Wort. Denn der 66-jährige Mülheimer sitzt im Rollstuhl.

Mit dem passierte er kürzlich den ebenerdigen Rathauszugang am ehemaligen Platz der Deutschen Einheit, dem heutigen Ruhrbania-Baufeld 2. Von dort aus fuhr er mit einem kleinen gläsernen Aufzug zunächst ins Hochparterre, um dort in einen anderen gläsernen Aufzug umzusteigen. Der brachte ihn ins erste Obergeschoss. Dort erlebte er dann eine Überraschung.

Denn die Aufzugschiebetür ging dort nicht hinten oder vorne, sondern seitlich auf, so dass er sich mit seinem Rollstuhl in dem etwa 1,40-mal-1,40-Meter großen Fahrstuhl drehen musste, um aussteigen zu können. „Ich hatte dabei Gott sei Dank keine Probleme, weil ich einen speziellen Rollstuhl mit einem kleinen Wendekreis habe. Aber bei Leuten, die auf einen größeren Elektrorollstuhl angewiesen sind, sieht das ganz anders aus“, betont der Rollstuhlfahrer.

Problem erkannt

„Das Problem ist uns bekannt. Wir haben den SWB bereits informiert, der jetzt daran arbeiten muss“, erklärt Stadtsprecher Volker Wiebels. Der für das Rathaus zuständige SWB-Projektleiter Markus Nieder und der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der in der Behindertenarbeit tätigen Organisationen, AGB, Alfred Beyer, machten sich zusammen mit der NRZ vor Ort ein Bild.

„Notwendig wäre ein Wendekreis von mindestens 1,50-Meter-mal-1,50-Meter“, betont AGB-Chef Beyer und verweist auf die AGB-Checkliste für barrierefreies Bauen. Die 1992 erstmals aufgestellte und seitdem immer wieder aktualisierte Liste war Grundlage der Rathausmodernisierung, um den seit 2005 geltenden Rechtsanspruch auf barrierefreien Zugang zu öffentlichen Gebäuden erfüllen zu können.

"Wendefläche bleibt Wendefläche"

Beyer weist darauf hin, dass der zu geringe Wendekreis im gläsernen Aufzug mit Seitenausstieg bereits bei der Abnahme moniert worden sei. „Das ist immer wieder das Problem, dass wir von den Architekten zwar bei der Planung, aber nicht bei der Umsetzung zu Rate gezogen werden“, erklärt der Vorsitzende der AGB.

Vorbehaltlich einer abschließenden Stellungnahme erklärt das verantwortliche Architektenbüro RKW auf Nachfrage des SWBs, dass die AGB-Checkliste für barrierefreies Bauen keine Aussagen zu Übereckaufzuügen beinhalte. Die Einrichtung von Übereckaufzügen sei an dieser Stelle aber alternativlos gewesen und der AGB auch so vorgestellt worden. Laut AGB-Chef Beyer war aber nur ganz allgemein von Aufzügen die Rede. Er verweist auf die klar definierten Wendeflächen der Checkliste und betont: „Notwendige Wendefläche bleibt Wendefläche.“

Alternative an der Schollenstraße

Nieder weist Elektrorollstuhlfahrer auf eine Aufzugalternative am Eingang Schollenstraße hin. Hier befindet sich ein Durchladeraufzug, dessen Schiebetüren sich jeweils an der Kopfseite öffnen, so dass man auch mit einem größeren Elektrorollstuhl vorwärts und rückwärts herausrollen kann. Mit diesem Aufzug, der ursprünglich nur als Lastenaufzug gedacht war, könnten auch Rollstuhlfahrer mit einem größeren Elektrorollstuhl problemlos alle Rathausetagen erreichen.

Um den Zugang zu diesem Aufzug zu erleichtern, müssten zwei Flurtüren des Gebäudetraktes mit Automatiköffnung ausgestattet und die Ausschilderung des rollstuhlgerechten Durchladeraufzuges verbessert werden. Daran wird jetzt gearbeitet, so dass SWB-Projektleiter Nieder mit einer zeitnahen Umsetzung rechnet.