Mülheim. . Eine an sich gute Idee sorgt in Mülheim für Ärger. Die Internetseite, die Rollstuhlfahrern barrierefreie Orte anzeigen soll, ist der Arbeitsgemeinschaft der in der Behindertenarbeit tätigen Vereine zu ungenau. Vor allem werde nur an Rollstuhlfahrer gedacht - und nicht an Hörgeschädigte und Sehbehinderte.

In Mülheim stehen viele Zeichen auf Grün – wenigstens laut der Internetseite „Wheelmap.org“. Diese Plattform, die der Berliner Verein „Sozialhelden“ erdachte, will Rollstuhlfahrern barrierefreie Orte aufzeigen, und jeder kann mithelfen. Grundsätzlich kommt die Idee, rollstuhlgerechte Wege zu weisen, in Mülheimer an. An der Ausführung hat Alfred Beyer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der in der Behindertenarbeit tätigen Vereine, jedoch eine Menge zu kritisieren.

Die Mülheimer Stadtkarte ist gesprenkelt mit grünen, gelben und roten Pfeilen. In der Stadtmitte werden die meisten angezeigt, doch auch in den Stadtteilen wurde kräftig markiert. Jeder, so die Idee des Initiators Raul Kraulhausen, der selbst auf einen Rollstuhl angewiesen ist, kann eine solche Markierung hinterlassen und ein öffentliches Gebäude bewerten: ist es rollstuhlgerecht (grüner Pfeil), ist es teilweise rollstuhlgerecht (gelb) oder gar nicht (rot). Das Rio-Kino kommt beispielsweise strahlend grün daher, eine Kebab-Bude in Styrum ist gelb markiert und eine Holthausener Grundschule rot.

Unterschiedliche Definition von Barrierefreiheit

Klingt praktisch, kann aber unpraktisch werden, wenn Rollstuhlfahrer dennoch vor Barrieren enden. Denn als „teilweise rollstuhlgerecht“ gilt laut Internetseite ein „Eingang mit maximal einer Stufe (7 cm)“. Alfred Beyer lässt dies nicht gelten: „Eine sieben Zentimeter hohe Stufe ist für einen Rollstuhlfahrer ein riesen Hindernis. Wie soll der alleine da hochkommen?“ Nur ein bisschen barrierefrei gibt es für ihn nicht: „Entweder etwas ist barrierefrei oder nicht.“ Punkt.

Für Beyer hat das Webseiten-Prinzip ein weiteres Problem. „Wie“, fragt er, „wollen Laien beurteilen, was barrierefrei ist? Ein ebenerdiger Eingang ist gut und schön, aber wenn die Tür nicht breit genug ist, bringt es auch nichts.“ Hoffnungen setzt der Behindertenvertreter auf eine Initiative der Landesregierung, die Menschen schult, um fundiert die Barrierefreiheit von Gebäuden zu prüfen. „Die ziehen auch mit dem Zollstock los und messen Türbreiten nach.“ Doch nicht nur der Zugang für Rollstuhlfahrer, auch die Funktionalität für Hörgeschädigte, Seh- und kognitiv Behinderte wird dabei kontrolliert und mit einem Signet bewertet. „Daran“, sagt Beyer, „kann man sich dann wirklich orientieren.“ Denn auch, wenn es vielen nicht bewusst sei: Barrierefrei ist mehr als rollstuhlgerecht.

Nicht nur für Rollstuhlfahrer ein Gewinn

Die Beschränkung auf Rollstuhlfahrer hält der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft grundsätzlich für schwierig. „Wir versuchen Akzeptanz zu gewinnen, indem wir andere Gruppen, die ebenfalls von solchen Maßnahmen profizieren, einbinden.“ Eltern mit Kinderwagen und Senioren mit Rollatoren zählt er dazu, eine Rampe komme auch ihnen entgegen. Besonders die wachsende Gruppe der Menschen mit Rollatoren dürfe man nicht vernachlässigen.

Dass sich das Bewusstsein verändert hat, räumt Beyer ein, die Online-Karte, die in Kategorien wie Freizeit, Essen und Trinken, Sport oder Verkehr unterteilt ist, sei ein Zeichen dessen – aber nur ein erstes: „Die barrierefreien Restaurants in Mülheim kann ich an zwei Händen abzählen.“ Auch sonst gebe es viel Nachholbedarf. Als Beispiel nennt Beyer den jüngst erschienenen Einkaufsführer der MST, der die Geschäfte der Innenstadt auflistet. „Die Barrierefreiheit taucht da gar nicht auf.“ Dass hätte man seiner Meinung nach ruhig mit abfragen können. Denn: „Es reden doch immer alle von Inklusion.“

Seit einem Jahr gibt es die interaktive Internetseite. Seitdem wurden Deutschlandweit 177 650 Restaurants, Schulen, Behörden, Fitnessclubs , Theater und und und bewertet. Nicht immer erschließt sich das Ergebnis: Die Mülheimer Stadthalle wurde etwa rot eingestuft, die Haltestelle Eichbaum aber grün.