Mülheim. .
Im Fußball lässt sich mit einem Übersteiger viel erreichen. Probleme bekommt, wer ohnehin in der Defensive steht. So ergeht es derzeit der Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG). Ihr Jahresdefizit für 2011 ist nun auf satte 29 Mio. Euro taxiert worden – für den kräftigen Anstieg um 2,4 Mio. Euro macht das Unternehmen denn auch im Wesentlichen sogenannte Übersteiger verantwortlich. . .
Das MVG-Defizit ist aktuell dem Jahresabschluss der städtischen Beteiligungsholding zu entnehmen, unter deren Dach die MVG seit vergangenem Jahr zu 100 % hausiert. Die Beteiligungsholding hatte 94 % der MVG übernommen, die bis dato beim Energiedienstleister Medl verortet waren.
80.000 Euro Verlust täglich
29 Mio. Euro Defizit – der Verlust fällt gar deutlich höher aus als die Erlöse, die die MVG mit Bahnen und Bussen einfährt (20,5 Mio. Euro). 29 Mio. Euro Verlust im Jahr – das bedeutet nicht weniger als dass der Verkehrsbetrieb jeden Tag knapp 80.000 Euro Verlust einfährt. Da unkt gar einer, der die Zahlen kennt: „Zwei Monate kein Betrieb bei der MVG – und wir könnten das Schloß Broich komplett sanieren.“
Drei wesentliche Ursachen für den ungeplanten Anstieg des Defizits benennt die MVG. Da sei zum einen der Bergschaden im U-Bahnhof Mühlenfeld. An den Sanierungskosten, die hauptsächlich vom Land getragen wurden, sei man im Jahr 2011 zu 0,5 Mio. Euro beteiligt worden. Zweiter unplanmäßiger Aufwand, so Hoffmann, sei eine Abschreibung der Straßenbahn-Infrastruktur für den Flughafen-Ast der Linie 104 gewesen. Warum die Abschreibung von 400.000 Euro schon im Jahr 2011 vorgenommen wurde, wo nicht mal der unter Vorbehalt stehende politische Beschluss zur Stilllegung der Teilstrecke gefasst war, konnte MVG-Sprecher Nils Hoffmann gestern nicht erklären. Das dürfte Nachfragen der Politik am 22. Juni im Wirtschaftsausschuss provozieren.
Dritte Überraschung für die MVG: die überplanmäßige Erhöhung der sogenannten Übersteigerumlage. Diese Umlage soll im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) eine gerechte Verteilung der Ticketeinnahmen garantieren. So schickt der VRR alle zwei Jahre Fahrgastzähler ins Verbundgebiet, um zu erfassen, wie viele Kunden wo mit welchen Tickets unterwegs sind. So soll etwa die Deutsche Bahn einen Ausgleich dafür bekommen, wenn in Mülheim an einem MVG-Automaten ein Ticket gekauft wird, mit dem später ein Regionalzug genutzt wird.
Höchstes Defizit seit 2005
Die MVG wurde mit einer Umlageforderung konfrontiert, die um 1,4 Mio. Euro höher lag als kalkuliert. Wie ist das zu erklären? Die Antworten von VRR und MVG bleiben vage. Der VRR spricht von Trends zur ausgedehnten Mobilität, zum beruflichen Pendeln in Oberzentren und allgemein zum Verbund-Abo. MVG-Sprecher Hoffmann davon, dass die Umlage-Berechnung zu kritisieren sei. Sie bestrafe jene Unternehmen wie die MVG, die mehr Vertriebspunkte für Tickets vorhalte als etwa die Bahn. Aber erklärt dies alles schon, dass die MVG-Rechnung für die Jahre 2010 und 2011 gründlich danebenging? Geplant hat man laut Hoffmann mit einer Umlage von 2,4 Mio. Euro, herausgekommen ist eine Umlage von 3,8 Mio. Euro. Macht eine Steigerung von fast 60 % – wie kann eine Überraschung bloß so groß ausfallen? Ist das Ausdruck der vielfach von Dauernörglern übertrieben beschworenen Flucht der Mülheimer aus ihrer Stadt? Wohl kaum.
29 Mio. Euro Defizit – das ist, trotz abgeschlossenem Restrukturierungsprogramm, höchster Stand seit 2005. Mülheims Politik ist gefordert, sich in der Angebotsplanung etwas einfallen zu lassen, um das Defizit dauerhaft zu senken. Im Wirtschaftsausschuss am 22. Juni wird die Verwaltung ihren Fahrplan für die Aufstellung eines neuen Nahverkehrsplans präsentieren. Ende des Jahres soll ein diskutabler Entwurf vorliegen. Offenbar wegen der vielen konkurrierenden politischen Vorstellungen und Bürgerideen sowie der anhaltenden Auseinandersetzung zwischen der Stadt und der Bezirksregierung um die Zukunft der Straßenbahn-Infrastruktur will Verkehrsdezernent Peter Vermeulen die Politik frühzeitig an einem „Runden Tisch“ in die Nahverkehrsplanungen einbinden. Hier sollen auch MVG und Bezirksregierung ihre Sicht auf die Gemengelage einbringen. Als externer Berater soll nach verwaltungsinterner Auswertung einer beschränkten Ausschreibung das „Büro Stadtverkehr Hilden“ eingeschaltet werden.