Mülheim. Von einer Neuregelung der Hilfen für Flüchtlinge, über die das Verfassungsgericht entscheidet, würden 132 Familien mit 370 Personen profitieren

Man muss sich nur mal kurz vorstellen, die Metaller hätten 20 Jahre lang auf jede Lohnsteigerung verzichtet. Richtig, das ist völlig absurd, ein schlechter Witz, würden Gewerkschafter einwenden, die immer darum kämpfen, dass zumindest die jährlichen Preissteigerungen ausgeglichen werden. Für Flüchtlinge allerdings sind die Sätze seit 1993 nicht mehr angepasst worden, das heißt, den Menschen bleibt zum Überleben real immer weniger. Deshalb widmet der Evangelische Kirchenkreis auch regelmäßig seine Sonntagskollekte diesem Personenkreis. Jeder Cent, der im Klingelbeutel landet, kommt dann automatisch auch der Arbeit mit den Flüchtlingen zugute.

Mit diesem Geld finanziert das Flüchtlingsreferat des Kirchenkreises beispielsweise für Kinder Nachhilfestunden oder eine Mitgliedschaft im Sportverein. Vom neuen Bildungspaket profitieren Flüchtlinge nicht. Und Integrationskurse, um Deutsch zu lernen, können sie auch nicht besuchen. Sie sollen hier ja nicht heimisch werden. Am kommenden Wochenende wird wieder für Flüchtlinge gesammelt, just zu dem Zeitpunkt, zu dem zwei Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht ein Schlaglicht auf deren schwierige wirtschaftliche Situation geworfen haben.

"Das war noch nie rückwirkend"

Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass die bisherige Regelung vor Gericht keinen Bestand haben wird und die Sätze angeglichen werden. Stadtsprecher Volker Wiebels erwartet aber nicht, dass rückwirkt gezahlt wird. „Bei Leistungsgesetzen war das noch nie rückwirkend“, sagt Wiebels.

Derzeit bekommt ein Flüchtling in den ersten vier Jahren seines Aufenthalts, in denen der Status geklärt sein sollte, mit 224,97 Euro exakt 150,03 Euro weniger als ein Hartz-IV-Empfänger. Eine andere Erklärung, als dass das abschreckend wirken und vor Missbrauch schützen soll, gibt es nicht. Eigentlich sollen die Flüchtlinge den größeren Teil, die Grundleistung als Sachleistung oder als Gutschein erhalten, was sich aber als unpraktisch und zu teuer erwiesen hat. Als diese Regelung noch aktuell war, haben einige Mülheimer den Flüchtlingen Gutscheine abgekauft, um ihnen ein Einkaufen in Würde zu ermöglichen. Nur 40 Euro sollten einem Flüchtling bar ausgezahlt werden.

132 Familien mit 370 Personen

Nach vier Jahren erhält er den vollen Satz, sofern er seine Aufenthaltsdauer nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. Erst dann kann sich ein Flüchtling auch uneingeschränkt auf dem Arbeitsmarkt bewerben. Wie groß die Mehrbelastung für die Stadt ausfällt, wenn das Bundesverfassungsgericht die Sätze erhöht, ließ sich gestern noch nicht exakt ermitteln, da die Zahlungen an die Partner und die Kinder von den Zahlungen an den Familienvorstand abweichen.

Knut Meister vom Sozialamt gibt 132 Familien mit 370 Personen an. Kinder bis sechs Jahre erhalten aber nur 133 Euro, bis 13 Jahre 179 Euro und ab 14 Jahre 199 Euro, was auch für den Partner gilt. Alleine bei den 132 Haushaltsvorständen würde sich die Mehrzahlung auf über 237.000 Euro summieren. Bei Kindern ist die Lücke geringer.

Asylbewerber dürfen im ersten Jahr nicht arbeiten

„Vielen fehlt oft das Geld, um ihre wichtigsten Bedürfnisse abzudecken und um am sozialen Leben teilzuhaben“, sagt Annette Faßbender, die seit 1988 Flüchtlingsreferentin des Kirchenkreises ist. Nach ihren Angaben leben rund 3000 Menschen mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus in der Stadt. In ihrer Beratungstätigkeit merkt sie, dass sich Anfragen nach finanzieller Unterstützung mehren. „Die Lebenssituation der Flüchtlinge ist den meisten gar nicht bekannt“, bedauert Faßbender. Im ersten Jahr dürften Asylbewerber überhaupt nicht arbeiten. Danach werde häufig keine Arbeitserlaubnis gewährt, weil viele Arbeitssuchende aus den europäischen Nachbarländern zur Verfügung stehen.

Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird für den 20. Juni erwartet.