Mülheim. .
Theoretisch dürfen Polizisten außerhalb von Gottesdiensten in Kirchen eindringen, um Menschen herauszuholen. Dass sie es in stillschweigender Übereinkunft dennoch nicht tun, ist das Grundprinzip des Kirchenasyls für Flüchtlinge. Fünf Jahre ist der letzte Fall in Mülheim her.
Der Grundsatz ist eine stillschweigende Übereinkunft, das Verständnis einer christlichen Gesellschaft, dass Kirchen heilige Orte sind, die Würde und Respekt verdienen.
„Gottesdienste sind eine Ausnahme, aber sonst ist nirgendwo festgelegt, dass Ordnungshüter nicht in Gotteshäuser eindringen dürfen, um Leute aus ihnen herauszuholen“, sagt Annette Faßbender, Flüchtlingsreferentin des evangelischen Kirchenkreises An der Ruhr. Dass sie es dennoch nicht tun, ist das Grundprinzip des Kirchenasyls. Seit dem letzten in Mülheim sind fünf Jahre vergangen.
Kirchenasyl ist laut Definition „die zeitlich begrenzte Aufnahme von Flüchtlingen ohne legalen Aufenthaltsstatus, denen bei Abschiebung in ihr Herkunftsland Folter und Tod drohen oder für die mit einer Abschiebung nicht hinnehmbare soziale, inhumane Härten verbunden wären“.
Die Ultima ratio
Und Kirchenasyl ist laut Annette Faßbender „die Ultima ratio. Man darf nicht unterschätzen, was das für ein Gerödel ist.“ Sie formuliert es salopp und meint es dennoch sehr ernst. Hoffnungen, Ängste, Arbeit gehören dazu.
Dass man mit diesem Mittel nicht leichtfertig umgeht, belegen wohl die Mülheimer Zahlen: In den vergangenen 20 Jahren gab es drei Kirchenasyle. Unterschiedliche Umfänge hatten sie alle, doch, so Annette Faßbender: „Es waren immer Menschen, deren Leib und Leben gefährdet war.“ Dabei gehe es nicht darum, „jemanden bis zum St. Nimmerleinstag zu verstecken“. Denn zu einem richtigen Kirchenasyl gehört immer die Öffentlichkeit, das Bekanntmachen der Situation der Kirchenasylanten. Dies übernimmt die asylgewährende Gemeinde. Bei deren Mitgliedern liegen alle Pflichten, und sie sind es auch, die entscheiden, ob sie Asyl gewähren wollen.
Zuletzt in Styrum
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Zuletzt entschlossen sich die Styrumer dazu. Im Juni 2004 stimmten sie einer Anfrage der Flüchtlingsreferentin zu; eine kurdische Familie zog in den Jugendraum im Gemeindezentrum. Weil dort allerdings die sanitären Anlagen nicht ausreichten, zogen Eltern und Tochter nach Saarn um. Bis Ende August 2005 wohnten sie im Gemeindehaus, waren auf die Räume beschränkt und völlig auf die Hilfe von Freiwilligen angewiesen, die sie verpflegten und versorgten. „Ob es ums Einkaufen geht oder um die Öffentlichkeitsarbeit, ob jemand Zahnschmerzen hat, die Gemeinde ist für alles verantwortlich.“ Deshalb sei es so wichtig, dass das Kirchenasyl von der ganzen Gemeinde getragen werde. Doch so groß die Belastung für die Betreuer ist, die Betreuten stehen unter noch größerem Druck.
Faßbender: „Man muss die Ohnmacht aushalten, man muss abwarten, wie die Richter entscheiden.“ Monatelang. Das zeigt den Umfang eines Kirchenasyls und beantwortet für die Flüchtlingsreferentin die Frage: „Wie schlecht muss es Menschen gehen, damit sie sich auf dieses fremdbestimmte Leben einlassen?“
Ein glückliches Ende fand das Saarner Kirchenasyl im Jahr 2005, damals erhielt die Familie, die noch heute in Mülheim lebt, das Bleiberecht. Und dieser Entscheidungstag im August war für Annette Faßbender der einzige Moment der Sorge: „Als ich vor dem Verwaltungsgericht stand, habe ich gedacht: Wenn sie die Familie jetzt verhaften, dann kannst du nichts machen. So sind die Gesetze.“