Mülheim. . Die Sozialgesetzgebung von Hartz IV hat ihr siebtes Jahr erlebt. Auf dem Kurt-Schumacher-Platz harrt die Montagsdemonstration, wenn auch in äußerst überschaubarer Runde, weiter aus in ihrem Ansinnen, das Schreckgespenst der beklagten sozialen Spaltung doch noch zu vertreiben. Wie sieht es aus zum Beginn des achten Jahres Hartz IV? Ein Überblick.

Statistik. Die offizielle Statistik meldete Ende Januar 5361 Langzeitarbeitslose unter Hartz IV; das sind 5,1 % weniger als ein Jahr zuvor. Nicht mitgezählt in dieser Zahl sind allerdings 81 Menschen, die Bürgerarbeit leisten, 409 Menschen mit Ein-Euro-Jobs und 1139 Personen in Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung. Der Bund lässt sie durch trickreiche Regeln aus der Statistik verschwinden, obwohl von regulärer Beschäftigung keine Rede sein kann.

Hilfebedürftigkeit. Im Januar erhielten 8558 Mülheimer Haushalte (Bedarfsgemeinschaften) finanzielle Hilfen zu ihrer Grundsicherung. Betroffen waren 17.207 Menschen, darunter rund 5000 (!) Kinder und Jugendliche. Großen Umfang hat das Phänomen der Sockelarbeitslosigkeit im Hartz-IV-Bereich. „Zwei Drittel sind Langzeit-Leistungsbezieher“, sagt Dr. Jennifer Neubauer, stellvertretende Leiterin der Sozialagentur. „Sie sind länger als ein Jahr bei uns im Hilfebezug.“ Und: Ein Ausstieg ist schwer, so die Feststellung. Meist fänden Hartz-IV-Klienten doch nur Jobs im klassischen Helferbereich für Unqualifizierte. Bei einer Rezession seien diese Arbeitnehmer die ersten, die wieder auf die Straße gesetzt würden.

Sozialpädagogische Begleitung

Ein-Euro-Jobs. Die Sozialagentur plant die Mehraufwandsentschädigung für Ein-Euro-Jobber anzuheben. Zurzeit sind 1 bis 2,50 Euro pro Stunde üblich. Ab April soll gewährleistet sein, dass sich jeder Ein-Euro-Jobber mit seiner Aufwandsentschädigung das Sozialticket für den Nahverkehr leisten kann.

Qualifizierungsdefizit. Bei den Ein-Euro-Jobs muss die Sozialagentur ihr mit verschiedenen Trägern erarbeitetes, anspruchsvolles Konzept aufgeben, weil der Bundesgesetzgeber nun klargestellt hat, welche Form der sogenannten Arbeitsgelegenheiten ab April finanziert werden darf. Laut Agentur-Leiter Matthias Spies „darf nur noch Arbeit und Anleitung bezahlt werden“. Das Mülheimer Modell der Inte­grationsjobs samt Qualifizierungsanteil, Vermittlungsbemühungen und sozialpädagogischer Begleitung ist damit zum großen Bedauern von Spies nicht mehr umzusetzen.

Ein komplettes Förderprogramm

Die Sozialagentur hatte mit acht größeren Bildungsträgern einen Qualifizierungspool geschaffen, der garantieren sollte, dass Ein-Euro-Jobber nicht nur eine Arbeitsgelegenheit bekommen, sondern auch fit gemacht werden für den Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Die gesetzliche Änderung, so Spies, „ist qualitativ ein starker Einschnitt“. Qualifizierung, auch begleitende Trainingsmaßnahmen wird es nicht mehr geben können.

Der Protest.
Sozialagentur-Chef Spies sieht nicht, dass „Hartz IV zu großer Armut beigetragen hat“. Insgesamt gebe der Staat mehr Geld aus, im Vergleich gerade zur früheren Arbeitslosenhilfe könnten betroffene Menschen auf mehr Unterstützung auch bei der Wiedereingliederung und Qualifizierung bauen. „Jetzt steht ihnen ein komplettes Förderprogramm zur Verfügung. Es bietet positive Möglichkeiten, Leute in Arbeit zu bringen.“ Das System „Fördern und Fordern“ sei dann gut, wenn tatsächlich auch gefördert werde. Dass Mülheim als Optionskommune die Betreuung der Hartz-IV-Klienten selbst in die Hand genommen habe, so Spies, habe sich ausgezahlt. Ganz zufrieden ist aber auch Spies nicht mit „Hartz IV“. Es sei schon eine Frage der Gerechtigkeit, wenn auch Menschen, die lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hätte, schon nach einem Jahr in den ALG-II-Bezug landeten. „Das“, so Spies, „kann es eigentlich nicht sein.“