Mülheim.

Seit 40 Jahren führt Heinz Hohensee durch das kleine Museum des Geschichtsvereins, das den Mülheimern eigentlich nur als „Tersteegenhaus“ und Austragungsort des jährlichen „Chrubbel Chrabbel“ zu St. Martin bekannt ist.

Er bringt vielen Gästen jedes Jahr seine Heimatstadt mit profundem Wissen und interessant vorgetragenen Geschichten mit sichtlich viel Freude nahe. Die regelmäßigen kostenlosen Führungen und auch die Rundgänge nach Absprache beginnen mit geologischen Besonderheiten und enden mit den Lebensgeschichten der städtischen Berühmtheiten Mathias Stinnes, Gerhard Tersteegen und Dr. Carl Arnold Kortum.

Erste Ansiedlungen um 600

Der Kirchenhügel und das Schloss Broich eigneten sich als Orte der ersten Ansiedlung in der Zeit um 600, weil sie als Ausläufer des Rheinischen Schiefergebirges hochwasserfrei waren. Die Ruhr, eigentlich ein Gebirgsfluss, war von regelmäßigen Überschwemmungen und Niedrigwasser betroffen. Da waren die beiden Erhebungen sichere Orte und Posten auf der wichtigen Hellweg-Handelsstraße.

Die Familie der Herren von Mülheim starb während der Kreuzzüge aus, die Herrschaft von Broich überdauerte bis zur napoleonischen Zeit. Dieser verlieh Mülheim dann auch 1808 die Stadtrechte, bei einer Einwohnerzahl von rund 12 500 Menschen. Obwohl es noch keine gepflasterten Straßen und Steinhäuser gab, war Mülheim nicht arm, denn die Bauern beackerten gute Böden und förderten schon früh Kohle. „Die Mölmschen waren frei“, betont Heinz Hohensee. Sie waren „bergfrei“, besaßen ein eigenes Bergrecht und zahlten keine Steuern.

Stadt-Norden duchlöchert wie ein Schweizer Käse

Zum Glück liegt die Innenstadt auf Schiefer, so dass die Kohleschichten hier zu tief lagen und nicht abgeteuft wurden. Der Norden der Stadt sei ja durchlöchert wie ein Schweizer Käse, berichtet der kenntnisreiche Führer des Geschichtsvereins.

Der Rundgang durchs 1646/1647 erbaute Haus beginnt im Erdgeschoss mit der großen Sammlung von kreidezeitlichen Funden aus dem Steinbruch Rauen. Ammoniten, Haifischzähne und Dinosaurier-Relikte beweisen, dass Mülheim ehemals eine Küstenregion war. Die folgenden Räume zeigen Küche, Wohnraum und Schlafraum, wie sie im vielleicht 18. und 19. Jahrhundert ausgesehen haben.

Butterfass und Fruchtpresse 

Beeindruckend ist auch der in der Friedrich Wilhelms-Hütte geschmiedete Mölmsche Ofen – ein „Allesfresser“, der mit allem Brennbaren rund um die Uhr befeuert wurde und Mittelpunkt eines jeden Hauses war. Aber auch Butterfass und Fruchtpresse, lokales Steingut und Porzellanfiguren stellen wichtige historische Zeugnisse des Heimatmuseums dar.

Die Besucher lernen, dass in den kurzen Betten im Sitzen geschlafen wurde und erfahren einiges mehr über das Leben in der damaligen Zeit. Interessant auch die „Privatheizung“, ein durchbrochenes Messingbehältnis mit Henkel, das, mit glühender Holzkohle bestückt, unter der Kirchenbank für einen warmen Po sorgte.

Dann kommt der engagierte Lokalhistoriker zur Ruhrschifffahrt. Einfach unvorstellbar, dass die Ruhr um 1840 der am stärksten befahrene Strom in Europa war. Vor der Mülheimer Schleuse drängelten sich an manchen Tagen bis zu 300 Aaken, flache Ruhrschiffe, die vorwiegend Kohle zum Rhein brachten. Mit der Entwicklung der Eisenbahn um 1860 war es mit diesem Boom schlagartig vorbei, aber da hatte der Gründer des Stinnes-Imperiums, Mathias Stinnes (1790 – 1845), schon sein Scherflein im Trockenen.

Autor der Jobsiade

Gerhard Tersteegen (1697 – 1769) lebte und wirkte 25 Jahre im gleichnamigen Haus. Der vielseitig gebildete Theologe und Mediziner hat ein großes Vermächtnis an Schriften und frommen Liedern hinterlassen, die heute noch weltweit, in viele Sprachen übersetzt, gesungen werden. Auch Dr. Carl Arnold Kortum (1745 – 1824), ein Nachbar von Ter­steegen, bis er nach Bochum verheiratet wurde, war über die Stadtgrenzen durch seine Bücher, allem voran durch „Die Jobsiade“, bekannt.

Der studierte Mediziner, wie Tersteegen ein Allround-Talent, konnte malen, schreiben, und war wissenschaftlich umfassend gebildet. Wer mehr über diese außergewöhnlichen Zeitgenossen erfahren – und durch Kenntnis der abwechslungsreichen Geschichte das heutige Mülheim in neuem Licht sehen möchte, ist bei Heinz Hohensee und seinen Geschichtsvereins-Mitstreitern in guten Händen.

Führungen nach Absprache

Der Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr e.V. wurde im Jahre 1906 gegründet und zählt an die 800 Mitglieder. Neben Fahrten und Exkursionen bietet er monatliche Vorträge im Kunstmuseum Alte Post an, bringt eine Zeitschrift mit Themen zur Mülheimer Geschichte heraus und kümmert sich um die Ausstellungen und die Aufsicht im Historischen Museum Schloss Broich sowie im Heimatmuseum Tersteegenhaus. Führungen im Tersteegenhaus finden jeden 1. Sonntag im Monat um 11 Uhr oder nach telefonischer Absprache mit Heinz Hohensee unter der Rufnummer 380430 statt.