Mülheim. .

Manche Leute wollen einfach nur jemandem ihr Herz ausschütten, sich austauschen, berichten, wie es ihnen geht. Mit all’ den Schuldgefühlen, weil sie einen Unfall vielleicht nicht einmal verursacht haben, sondern ihn nur nicht verhindern konnten. Das sind die leichteren Fälle, bei denen Marlis Seeger zuhört, und schon dadurch oft weiterhilft.

Dann gibt es die Menschen, die völlig gebrochen vor der Polizeioberkommissarin sitzen: Sie haben das Fahrzeug gesteuert, unter dem ein Mensch schwerst verletzt wurde, vielleicht sogar ums Leben kam. Sie fühlen sich schuldig, werden vielleicht von ihrem Umfeld angefeindet – „solche Menschen müssen aufgefangen werden“, sagt Marlis Seeger. Ihre Aufgabe ist es nicht, die Schuldfrage zu beantworten. „Auch eine Rechtsberatung machen wir nicht.“

Sie arbeitet in der Opferschutzstelle der Polizei, die für die Städte Mülheim und Essen im Gebäude des ehemaligen Polizeipräsidiums an der Von-Bock-Straße 50 angesiedelt ist. Zwei Polizeibeamte sind sie hier, ein Mann und eine Frau, und sie sind zuständig für die Erstbetreuung nach Unfällen: „Wir haben es immer mit zwei Opfern zu tun: dem Unfallverursacher, der das gar nicht wollte, und dem, der beim Verkehrsunfall geschädigt wurde“, erklärt Marlis Seeger. Sie betreut auch Menschen, die Zeugen eines schweren Unfalls wurden, und die Bilder einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommen können.

Zehn Jahre Streifendienst auf der Straße

Die Opferschutzstelle ist gut vernetzt mit Hilfsorganisationen. Schwere Fälle werden der Trauma-Ambulanz am Uniklinikum Essen vermittelt. Es gibt Menschen, weiß Marlis Seeger, die wollen nach der Beteiligung an einem tödlichem Verkehrsunfall selbst nicht mehr leben. „Bei manchen Unfallverursachern muss man aufpassen, dass sie sich hinterher nicht etwas antun.“ In solchen Fällen macht sie auch selbst den Termin mit den Psychologen der Trauma-Ambulanz aus, die in allen Fällen zeitnah hilft: „Die Leute bekommen dort innerhalb von zwei Wochen einen Termin.“

Die Polizistin Marlis Seeger kümmert sich seit 2004 in Mülheim um Menschen in einer Ausnahmesituation. Zuerst waren es Opfer von Kriminalität, seit 2007, seit der Fusion der Behörden Essen und Mülheim, kümmert sie sich um Opfer (und Zeugen) von Verkehrsunfällen, weil die Verkehrsdirektion der Doppelbehörde an der Von-Bock-Str. 50 angesiedelt wurde. Im Essener Präsidium an der Blücherstraße kümmern sich zwei weitere Polizisten um Opfer von Straftaten in beiden Städten.

Marlis Seeger ist seit über 20 Jahren Polizeibeamtin, sie hat zehn Jahre Streifendienst auf der Straße geleistet und dabei vieles erlebt. Eine Erfahrung, die die Speldorferin letztlich zu der Entscheidung gebracht hat, sich intensiver um die Opfer zu kümmern, mit der die Polizei es zwangsläufig jeden Tag im Dienst zu tun hat. „Ich fand es oft schlimm, wegfahren zu müssen, weil schon der nächste Einsatz rief.“

Notfallseelsorger bleiben bei den Familien

Zu Marlis Seegers Aufgaben gehört auch jener Gang, der für jeden Polizeibeamten besonders schwer ist: Der Familie die Todesnachricht eines Angehörigen zu überbringen. An ihr letztes Mal, als ein junger Mann auf dem Weg zur Arbeit tödlich verunglückt war, erinnert sich Polizeioberkommissarin Seeger gut.

Sie ist froh, die Notfallseelsorger in solchen Fällen an ihrer Seite zu wissen: „Wir übernehmen die polizeiliche Überbringung der Nachricht. Der Notfallseelsorger bleibt dann bei den Familien.“ Am schwersten sei es immer, den Satz mit der Todesnachricht herauszubringen. „Man muss sich selbst aus der Situation herausnehmen“, sagt Marlis Seeger, „sonst geht man daran kaputt.“

Kinder, die bei einem Verkehrsunfall verletzt wurden, besucht Marlis Seeger oft im Krankenhaus, spricht mit den Eltern, bietet Hilfe an. „Bei den Kindern darf sich ja nichts festsetzen.“

Die Kinder bekommen dann ein Stofftier, den Polizeihund „Socke“ geschenkt, gespendet vom Mülheimer Polizeisportverein. Eine Geste, die wohl nicht nur die Kleinen tröstet. „Ich muss zugeben, ich habe letztens auch an zwei Erwachsene einen Hund verschenkt“, schmunzelt Marlis Seeger.

Kontakt:

Wer nach einem Verkehrsunfall über das Geschehene sprechen und sich beraten lassen möchte, kann sich an die Opferschutzstelle der Polizei wenden. Polizeioberkommissarin Marlis Seeger ist zu erreichen unter der Rufnummer 0201/829-4132 oder per E-Mail: Marlis.Seeger@polizei.nrw.de. Weitere Infos: www.polizei-nrw.de/essen
Stichwort: Opferschutz