Düsseldorf.

Ein abgebrochener Zahn, die Nase geschwollen, dazu Prellungen. Zahnarztpraxen sehen oft als erste die Spuren häuslicher Gewalt. Die 11 000 Zahnärzte in NRW wollen nicht länger tatenlos zusehen und Opfer nicht nur medizinisch behandeln, sondern den Frauen gerichtsfeste Beweismittel an die Hand geben.

„Die Zahl der Verletzungen durch häusliche Gewalt ist in den letzten Jahren stark gestiegen“, weiß der Leiter des Gesundheitsamtes Duisburg, Claus Grundmann. 2010 wurden durch Strafanzeigen ­23 000 Fälle häuslicher Gewalt in NRW bekannt – bei hoher Dunkelziffer. Prellungen und Verbrennungen heilen irgendwann wieder und werden oft nicht angezeigt. Aus Scham scheuen viele Opfer den Weg zum Hausarzt. Bei abgebrochenen Zähnen suchen Opfer aber häufig Hilfe beim Zahnarzt.

Hilfsangebote vermitteln

Hier setzt das Programm von Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) und den Zahnärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe an. In einem Befundbogen erfassen die Zahnärzte ab November Misshandlungen der Patienten. In einem Patientengespräch werden Hilfsangebote vermittelt.

Die Dokumentation der Verletzungen wird in der Patientendatei gespeichert – und kann bei Bedarf später vor Gericht verwendet werden. „Der Arzt sollte aber weder Psychologe spielen noch Forensiker oder Kriminalrat“, mahnt der Vizepräsident der Zahnärztekammer Rheinland, Ralf Hausweiler. Beim Verdacht einer Körperverletzung kann der Zahnarzt die Kriminalpolizei informieren. In der Regel aber gilt die Schweigepflicht.

Enorme Ängste der Opfer

Nach Angaben der Zahnärztekammern lassen sich 60 bis 80 Prozent aller Verletzungen durch häusliche Gewalt im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich diagnostizieren. „Gewaltopfer haben oft enorme Ängste, sich anderen Menschen anzuvertrauen. Häufig sind Zahnärzte die Ersten, die von Opfern aufgesucht werden“, weiß der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Rheinland, Ralf Wagner.

Weil Spuren körperlicher Gewalt oft Monate nach der Tat nicht mehr wahrnehmbar sind, sollen Befunde in der Check-Liste als mögliche Beweismittel in späteren Gerichtsverfahren dokumentiert werden. Darin wird genau aufgelistet, ob Nasenschwellungen, Unterblutungen in der Gesichtshaut oder an Lippen vorliegen. Ministerin Steffens, Schutzherrin des Zahnärzte-Projekts, spricht von einem „wichtigen Schritt für Opfer“.

Oft Kinder

Betroffene häuslicher Gewalt werden immer häufiger Kinder. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnt, dass nur fünf Prozent aller Kindesmisshandlungen überhaupt bekannt werden. Ministerin Steffens räumt ein, dass das Zahnarzt-Projekt nur ein Puzzlestein im Kampf gegen häusliche Gewalt sein kann. Aber die Zahnärzte wollen sich ihrer Verantwortung stellen. Dass kein zusätzliches Honorar fällig wird, ist für die Mediziner selbstverständlich.

Der Präsident der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe, Klaus Bartling, setzt auf das enge Vertrauensverhältnis von Zahnarzt und Patient. Was sich in vielen Familien an persönlichen Dramen hinter den eigenen vier Wänden abspielt, können die Zahnärzte nicht verhindern. Auch Ministerin Steffens weiß das. Künftig wollen die Ärzte aber genauer hinschauen, wenn eine Patientin oder ein Kind mit verdächtigen Verletzungen in die Praxis kommen.

Brandverletzungen

Dass Kinder häufiger Opfer familiärer Gewalt werden, zeigt sich nicht nur in Zahnarztpraxen. „In Großstädten wie Duisburg sehen die Kollegen in den Kliniken mindestens einmal pro Woche ein Kind mit Brandverletzungen aufgrund häuslicher Gewalt“, klagt der Leiter des Gesundheitsamtes in Duisburg, Claus Grundmann.