Mülheim. Mit der Inszenierung von „Verbrechen“ gelingt Roberto Ciulli mit einem starken fünfköpfigen Ensemble ein eindrucksvoller zweiter Pirandello-Abend.
Am Ende des eindrucksvollen zweiten Pirandello-Abends am Theater an der Ruhr spitzt sich die Konfrontation zwischen den beiden Freunden immer stärker zu und es entwickelt sich eine atemlose Spannung. Alle wissen, dass Romeo, der schlotternd vor Giorgio steht, ihn mit dessen Frau betrogen hat. Er scheint es mindestens zu ahnen. Kaltblütig und zu allem entschlossen mustert das Mitglied der X Mas, der Todesschwadron der italienischen Faschisten, das Nervenbündel. Regungslos steht er da, doch Fabio Menendez spielt mit einer solchen Intensität, dass jeden Moment mit einem Gewaltexzess zu rechnen ist.
Aber er will den Seitensprung als Traum akzeptieren und zu seinem Schiff zurückkehren, doch Romeo (Steffen Reuber) verwickelt ihn ein ums andere Mal wieder in ein Gespräch und redet sich, vom schlechten Gewissen geplagt, um sein Leben. Als sich Giorgio zum vierten Mal an der Seite seiner Frau Ginevra abwendet, gesteht Romeo dann doch völlig ohne Not. Regungslos raucht Giorgio mit Romeo eine letzte Zigarette, erschießt ihn kaltblütig und in seinem grenzenlosen Sadismus schändet er seine Leiche noch dazu, indem er sie völlig mechanisch in einem archaisch erscheinenden Ritual auf den Turngeräten zur Schau stellt. Völlig gleichgültig hakt sich seine Frau bei ihm unter und geht ab. Wind braust auf, weht in die Halle zur Leibesertüchtigung, die Ventilatoren an der Decke zerfetzen als eindrucksvolles Bild für den nahenden Krieg unter Dröhnen die weißen Papierbahnen (Bühne: Gralf Edzard Habben) und über die Szene geht ein Ascheregen nieder. Wie ein Echo erinnert man sich dann an eine Szene, in der als Romeo wunderbar slapstickartig durch die Turnhalle schlich, sich den ihm fremden Geräten näherte und Steffen Reuber so seine Figur mit Sympathie auflud.
Eine Geschichte über die Moral und Seitensprünge
Dass Unheil droht, wird schon gleich in der ersten Minute des Abends deutlich. Giorgio sitzt auf einem Schemel, reinigt liebevoll seine Waffe und, um die Lust an der Gewalt noch zu unterstreichen, nimmt er lutschend eine Kugel in den Mund. Doch da ist von Liebe, Last und Leidenschaft noch keine Rede, aber aus dem Lautsprecher plärrt eine Rede Mussolinis.
Eine Geschichte über die Moral und Seitensprünge funktioniert aber heute nur noch in der Zuspitzung. Roberto Ciulli spürt in dem Text, den Luigi Pirandello 1934 schrieb, die Atmosphäre des Faschismus und dessen große Lüge von der Treue. Eine direkte Bezugnahme auf den Faschismus gibt es zwar nicht, aber Ciulli erkennt im Text Anspielungen auf reale Personen von damals. Pirandello, der schon früh aus Opportunismus der faschistischen Partei beitrat, hatte sich da schon längst von Mussolini losgesagt. Ciulli spitzt auch den Titel zu: Aus „Man weiß nicht wie“ (Deutsche Übersetzung von Stefan Zweig) wird „Verbrechen“, ein Titel, der sich als ebenso vieldeutig erweist.
Viel stärker als den Faschismus thematisiert Pirandello die noch junge Psychoanalyse, es geht um Träume, Suggestion, Schuldkomplex, Triebe, den freien Willen und Romeo spricht von „jenem anderen Ich, das ich damals war“. Er wähnt sich als „Opfer des Unbewussten“, muss reden, um sich von der Last zu befreien, spricht entschuldigend von einem Überfall der Sinne, der Mitschuld von Ort und Stunde, von der magischen Verzauberung, die ihn ergriffen habe. „Aber vom Unbewussten spricht man nicht. Dann wird es zum Verbrechen.“
Untreue in dreifacher Form
Wie stark der Mensch triebgesteuert ist, sieht man Giorgio auf den ersten Blick an. Auffallend beharrt ist er, unter den diabolischen buschigen Brauen blitzen die Augen und mit einem Schwung hängt er kopfüber in den Ringen. Dann lässt er die Schultern hängen und watschelt mal mit baumelnden Armen wie ein Gorilla zu seiner Frau Ginevra. Als wäre sie Jane, hat sie für Tarzan Bananen mitgebracht.
Gestaltet Ciulli das Ende in drastischem Realismus, so nähert er sich hier den Personen in grotesker Überzeichnung. Immer wieder versichert Ginevra den anderen ihre Liebe zu ihrem gehörnten Mann und wird dabei fast hysterisch. Auch Bice (Simone Thoma), die Frau Romeos, steht unter Untreueverdacht, doch der leibesfüllige Respi konnte bei ihr nicht landen. Heinke Stork (Kostüme) hat ihr einen skurrilen Hut in Form eines Schneckenturms angefertigt. Untreue gibt es gleich in dreifacher Form: Einmal die Liebe in den Gedanken, die zu einem ungekannten Genuss führt, dann das Werben um die Gattin des anderen, das nur durch Zufall abgewiesen wird, und dann den vollzogenen Ehebruch.
Nur, was ist schlimmer?
Weitere Termine: 2., 10., 26. Dezember, 19.30 Uhr.