Mülheim. . Roberto Ciulli inszeniert am Mülheimer Theater an der Ruhr mit „Verbrechen“ ein Stück des italienischen Literaturnobelpreisträgers Luigi Pirandello. Ein Theaterfest voller großartiger Bilder und Szenen.

Am Ende pappt endlich ein Klebestreifen auf dem Mund von Romeo, nur nützt es da nichts mehr: Er ist tot, gestorben an Gewissen und Geschwätzigkeit. Denn als der italienische Literaturnobelpreisträger Luigi Pirandello 1934 das Stück „Non si sa come“ („Man weiß nicht wie“) schrieb, war ein Ehebruch mit der Gemahlin des besten Freundes vielleicht wirklich noch ein guter Grund, erschossen zu werden – sofern man denn so töricht war, zu gestehen. Aber was sagt uns das knapp 80 Jahre alte, nahezu vergessene Drama in Zeiten tendenziell heiterer Leichtlebigkeit?

Das Mülheimer Theater an der Ruhr nennt das Stück „Verbrechen“ und versucht gar nicht erst, das Beziehungsproblem ins Jetzt zu übertragen. In einer historisch anmutenden Turnhalle begegnen sich die fünf Darsteller, gekleidet im Stil der damaligen Zeit. Der Plot: Romeo (Steffen Reuber) verdächtigt Gattin Bice (Simone Thoma), ihn betrogen zu haben – mit Nicola (Albert Bork), der ihr den Hof machte. Romeos „Wahnsinn“, seine (grundlose) Eifersucht aber fußt ja nur auf seinem eigenen Fehltritt mit Ginevra (Petra von der Beek) – der Frau seines besten Feundes Giorgio (Fabio Menéndez). Ein „schuldloses Verbrechen“ nennt Romeo diesen doppelten Betrug, angeregt durch „die Lust eines Körpers, der von selbst erwacht ist“ unter einer „geheimen Mitschuld von Ort und Stunde“. Sein Problem: „zu wissen, dass es möglich ist“. Denn wenn eine so tadellos liebende Gattin wie Ginevra von der Lust des eigenen Körpers in die Sünde getrieben werden kann – muss dies dann nicht für jeden Menschen gelten, also auch für die eigene Ehefrau?

Ein Theaterfest voller großartiger Bilder

Einerseits ist Roberto Ciullis Inszenierung ein Theaterfest voller großartiger Bilder und Szenen, getragen von feiner Schauspielkunst: Auf der sportlichen Spielwiese leben der grüblerische, hüftsteife Romeo und der affenartig turnende, dumpfbackige Giorgio Gegensätze aus, die so schwarz-weiß daherkommen wie die Bühnenwände. Wenn Bice sich am Turngerät reibt und Ginevra sich in Erinnerung an „jenen Morgen“ auf der Matte räkelt, dann möchte man ob dieser flirrenden Intensität wahlweise neidisch werden – oder sich gleich dazulegen. Und danke an alle für den unverkrampften Umgang mit den vielen Bananen!

Andererseits gibt das Mülheimer Theater seinen Zuschauern eine arg gewichtige Denksportaufgabe mit auf den Weg, ohne allzuviel zur Lösung beizutragen. Pirandello wirft ja die seinerzeit brandaktuelle Frage auf, ob der Mensch von seinen (bösen) Trieben oder von seinem (guten) Willen geleitet wird. Er schrieb das Stück in den italienischen Faschismus hinein, den er zuletzt als animalisch, bestialisch empfand. Natürlich kann man Parallelen ziehen von Eros zu Thanatos, von der Lust zur Lust an der Zerstörung. Nur liefert die Inszenierung allenfalls gut versteckte Hinweise auf ihr theoretisches Fundament. Die Turnhalle als Ort des heroischen Körperkults, der eifersüchtige Ehemann als Überwachungsapparatur – und sonst?

Bleiben also Fragen: Ist der Verweis auf Triebhaftigkeit hilfreich, wenn es um ein vielschichtiges Phänomen wie Faschismus geht? Wie passt da das deutsche Bürokratiemonster Eichmann ins Bild? Und wie überträgt sich dieser urmenschliche Kampf zwischen dem Freud’schen „Es“ und dem „Ich“ auf die Ismen unserer Zeit – Rechtsradikalismus, Islamismus? Pirandellos Werk dazu zu befragen, das wäre sicher spannend.