Mülheim. . Hartz-IV-Empfänger kommen gratis ins Theater. In den Kulturstätten der Stadt Mülheim haben Politiker freien Eintritt zu Premieren.

Mit seinen Präsenten in Form einer Saison-Dauerkarte an 40 Lokalpolitiker hat sich der Fußballklub VfB Speldorf kürzlich ein Eigentor geschossen. Einige Adressaten schickten das Geschenk spontan retour, um erst gar kein „Geschmäckle“ aufkommen zu lassen. Diese Geschenke sorgten für Diskussionsstoff.

Doch wo ist die Grenze solcher Geschenke an Politiker? Wo fangen Vergünstigungen, Verfänglichkeit und Vorteilsnahme an? Mit dieser Dauerkarte, die im regulären Verkauf über 100 Euro kostet, ist der Sportverein wohl übers Ziel hinausgeschossen. Was die Höhe der Summe betrifft, geht’s dabei in der Kultur weniger sportlich zur Sache.

Doch auch hier erhalten die sogenannten „VIPs“ Freikarten – ein Verfahren, wie es bei Theatern und Kultureinrichtungen landauf, landab üblich ist. Wenn in diesem Zusammenhang häufig von einem Vorteil für Politiker oder für einen Personenkreis die Rede ist, die sich Theater- und Konzertbesuche locker leisten können, muss die Münze einmal umgedreht werden. Denn es gibt viele Menschen in dieser Stadt, die sich einen Theater- oder Konzertbesuch erst gar nicht leisten können.

Maß der Dinge

Es ist schon eine riesige Kluft, die sich da auftut. Einerseits gibt es wohlhabende Leute, die überall eingeladen werden und keinen Cent dafür zahlen. Auf der anderen Seite stehen Menschen, die sich gar nichts mehr leisten können. Allein schon aus dem Gedanken der Teilhabe an der Gesellschaft und im Sinne eines kulturellen Bildungsauftrages ist die Idee lobenswert, dass Hartz-IV-Empfänger freien Eintritt ins Theater haben. Was Freikarten für Politiker und Multiplikatoren betrifft, da zählt das Maß der Dinge – und dies gilt für beide Seiten.

Schon vor Jahren hat Roberto Ciulli damit angefangen, Hartz-IV-Empfänger und Inhaber des Mülheim-Passes ins Theater an der Ruhr einzuladen. Gratis. Sie haben freien Eintritt in jede Veranstaltung am Raffelberg, „egal, ob Premieren, Stücke vom Spielplan oder Theater- und Klanglandschaften“, sagt Sprecherin Judith Heider-Keßler. Einladungen, „die gut und immer wieder gerne angenommen werden“. Und oftmals dankbar. Die üblichen Vergünstigungen gibt’s im Theater zudem für Gruppen, Schüler und Studenten. Jedes Jahr gibt Maria Neumann gratis Märchenvorstellungen für die Grundschulen.

Aber bei Premieren wird es am Raffelberg auch so gehandhabt, „dass wir VIP-Einladungen verschicken“, erläutert Heider-Keßler. Die gehen beispielsweise an Politiker, Aufsichtsratsmitglieder des Theaters, an den Förderverein, die Medien und an Weggefährten. Sie gelten auch für eine Begleitperson. Eine Geste, „die für uns vor allem mit der Multiplikatorenfunktionzu tun hat.“ Denn die neuen Inszenierungen sollen sich herumsprechen. Die Freikarten für den ausgewählten Personenkreis gebe es aber nur für die Premieren, betont die Sprecherin: „Bei allen anderen Veranstaltungen werden die Tickets gezahlt.“

In Mülheim bewegen sich die Preise für Kultur-Veranstaltungen pro Karte zwischen rund 10 und 35 Euro. „Ja“, sagt Christine Klingbeil vom Ringlokschuppen, „bei besonderen Premieren und hauseigenen Produktionen verschicken wir spezielle VIP-Einladungen“, so die Sprecherin des Ringlokschuppens. Auch hier gehen sie vornehmlich an Kulturpolitiker und Verwaltungsspitze, wie an „den Kulturdezernenten und die Kulturausschuss-Mitglieder“. Ob ein oder zwei Karten vergeben werden, das käme ganz darauf an, wie begehrt die jeweilige Veranstaltung sei, so Christine Klingbeil: „Aber wir gucken schon, dass man eine Begleitperson mitnehmen kann.“

Grundsätzlich eine Freikarte erhalten „Kulturausschussmitglieder in Ausübung ihres politischen Amtes“, sagt Udo Balzer-Reher, Leiter des Theater- und Konzertbüros der Stadt. Dazu gehören die Aufführungen bei den Mülheimer Theatertagen oder die Sinfonie-Konzerte in der Stadthalle. Eine Karte gibt’s auf Anforderung, „und diese Regelung gilt bei allen städtischen Kulturveranstaltungen“.