Die frauenverachtenden Macho-Sprüche von Silvio Berlusconi könne man zwar mit einem müden Handstreich abtun, sagt Roberto Ciulli über den gerade abgedankten Ministerpräsidenten Italiens. Trotz aller Banalität sieht der Leiter des Theater an der Ruhr in solch einem Gehabe, wie es sein Landsmann Berlusconi an den Tag legt, die Wurzel des Übels: Das sei der Humus, auf dem Faschismus gedeihe. Diktaturen und das, was sie mit Menschen machen, und die bösen Triebimpulse – die Bestie, die in jedem von uns lauert – das sind die zwei großen Themen von Ciullis neuer Inszenierung. Terror und Bestien, wie sie in jedem Faschismus dieser Welt losgelassen werden, denn wo kommen sonst die vielen Folterer her?
Nach dem aktuellen Terror von rechts in Deutschland kommt das Theater an der Ruhr mit einem nachdenklichen Stück: „Verbrechen“ ist der zweite Teil des Projektes um den italienischen Literatur-Nobelpreisträger Luigi Pirandello (1867 - 1936). Es ist sein vorletztes Stück, das er 1934 zwei Jahre vor seinem Tod geschrieben hat, und verströmt intensiv die Atmosphäre zu Zeiten des Faschismus in Italien. Während das Vorläuferstück „Kaos“ als eindringliche Bilder-Collage am 19. Oktober herauskam, inszeniert Ciulli mit „Verbrechen“ ein fließendes Theaterstück mit Musik. Premiere: Mittwoch, 23. November. Die vierte Premiere am Raffelberg in der noch jungen Spielzeit.
„Verbrechen“ ist eine Kriminalgeschichte auf der Folie eines Ehebetruges. Es geht um zwei Freunde. Während Giorgio, ein Offizier der Marine, unterwegs ist, betrügt ihn sein bester Freund Romeo mit seiner Ehefrau. In die Tiefe geht das Geschehen durch die Anspielungen auf die Mechanismen der Macht, die jedem Faschismus innewohnen: beispielsweise die Treue als absoluter Wertebegriff. „Eine Lüge“, sagt Ciulli, die nur für die kleinen Leute galt, denn Mussolini hatte reihenweise Geliebte. „Der Gegenbegriff von Treue war in dieser Zeit Verrat“, erläutert Dramaturg Helmut Schäfer. Und wie schnell man zu „Verrätern“ in der Nazi-Diktatur in Deutschland wurde, ist bittere Geschichtsschreibung. „Zucht und Ordnung“ hat Ciulli, geboren 1934 in Mailand, in jungen Jahren noch am eigenen Leib erfahren müssen. „Da wurden wir als Kinder in kleine Uniformen gesteckt und mussten sonntags immer in der Turnhalle Übungen machen.“ Die Körperkultur fand in der „La Palestra“, der Turnhalle, statt. In Turnhallen machten sich auch schon die Gladiatoren für die Kämpfe im Colosseum im alten Rom fit. In Anlehnung daran wurde die Bühne (Gralf-Edzard Habben) zur Turnhalle. Faschismus bediente sich schon immer an glorifizierten, heroischen Vorbildern wie jenen aus dem Römischen Reich. Nicht anders war das in Deutschland, wo Hitler das System Mussolini zunächst kopierte. Der Pakt zwischen dem Faschisten Mussolini und dem Nationalsozialisten Hitler verkehrte sich, als Mussolini 1943 entmachtet wurde. Da witterte Hitler Verrat und besetzte Italien. Als Mussolini längst abgesetzt war, „da haben die Deutschen in Italien noch bis 1945 die Juden gejagt“, sagt Schäfer.
Luigi Pirandello hat in jener Zeit eine zwiespältige Rolle gespielt. Einerseits wollte er unbedingt ein Italienisches Nationaltheater gründen, andererseits distanzierte er sich innerlich vom Faschismus. Als er 1936 starb, hatte er sein Testament auf einem kleinen Zettel hinterlassen. „Er wollte ein Begräbnis wie die Ärmsten der Armen“, sagt Ciulli. Das geplante große Staatsbegräbnis war schon vorbereitet. Überliefert ist, dass Mussolini gesagt haben soll: „Der Sizilianer ist gegangen und hat uns die Tür vor der Nase zugeschlagen.“