Mülheim. .

Seit mittlerweile 50 Jahren leben türkischstämmige Menschen in Deutschland – natürlich auch in Mülheim. Der Verein Türkischer Sozialdemokraten gab bei einer Podiumsdiskussion in der Feldmann-Stiftung vier Zeugen der ersten Stunde die Möglichkeit, ihre Geschicht(e) zu erzählen.

Fevzi Eraslan lebt bereits seit 1957 in Deutschland. Aufgewachsen ist der heute 74-Jährige in einem kleinen Dorf in Anatolien. Nach dem Abitur bestimmte er bereits in der Türkei sein Leben selbst. „Das war später ein großer Pluspunkt für mich.“ Durch einen Freund wurde Eraslan auf die guten Studienbedingungen in der Bundesrepublik aufmerksam gemacht. „Er kannte auch die Formalitäten, die für meine Ausreise nötig waren.“

„Die Deutschen sind die besten Freunde der Türken“, das hörte Eraslan, bevor er sich auf den Weg machte. „Ich dachte, sie umarmen mich, wenn ich komme“, sagt er und kann heute darüber lachen. In Aachen angekommen, musste der damals junge Mann allerdings feststellen, dass die Menschen kaum Notiz von ihm nahmen. Nur mit „ja“ und „nein“ im Deutsch-Repertoire konnte sich Eraslan auch kaum verständigen. „Eine nette Dame half mir dann aber doch und brachte mich bis ins Hotel“, schildert Eraslan seine erste positive Erinnerung.

Bis heute in Deutschland geblieben

Obwohl er seinem Vater versprochen hatte, nach fünf Jahren zurückzukehren, ist Eraslan – mit Ausnahme seines Militärdienstes – bis heute in Deutschland geblieben. Seine Frau habe die Rückkehrpläne auf den Kopf gestellt. „Insgeheim habe ich schon früh gewusst, dass ich bleibe, ohne es auszusprechen“, sagt der 74-Jährige. „Wenn man es in der Öffentlichkeit äußert, wird man von den Landsleuten als eine Art Verräter angesehen.“

Aziz Bayram (71) kam 1965 nach Deutschland, um Geld zu verdienen und später als wohlhabender Mann in die Türkei zurückzukehren. 1970 holte er seine Frau und seine Kinder ebenfalls nach Deutschland. Später ging die Familie noch einmal für eine Zeit in die Türkei, da der Nachwuchs dort die Schule besuchte. Mittlerweile sind es sieben Kinder an der Zahl, und „alle haben ein Studium oder eine Ausbildung in Deutschland abgeschlossen“, erzählt Bayram stolz. „Sie haben mich auch endgültig zum Bleiben bewegt, da sie hier bessere berufliche Chancen hatten.“

Schritt in den Westen nie bereut

Yakup Acar wurde 1969 von seinem Bruder nach Deutschland eingeladen. Dieser übernahm auch die Gebühren für einen Deutschkurs. „Schnell habe ich festgestellt, dass die Gastarbeiter und türkischen Kinder dringend einen Lehrer brauchen“, erklärt der heute 71 Jahre alte Familienvater. Seitdem unterrichtet er türkische Kinder an Grundschulen in Deutsch.

Den Schritt in den Westen hat er nie bereut. „Die Sehnsucht, zurückzukehren, hat sicher jeder. Aber ich und meine Frau waren mit unseren Berufen so beschäftigt, dass wir uns darüber keine Gedanken machen konnte“.

Orhan Göktan (67) sticht aus der Reihe der typischen Einwanderer heraus. Bereits mit 15 Jahren verließ er sein Elternhaus, interessierte sich früh für Politik. Zusammen mit drei Freunden bewarb er sich für eine Ausreise nach Deutschland, wo er bei den Ford-Werken anfing. Später lebte Göktan eine Zeit lang in Frankreich und Russland, fand aber stets wieder den Weg nach Deutschland. Konflikte habe es anfangs eher mit Italienern als mit Deutschen gegeben. „Die dachten, wir würden ihnen ihre Jobs wegnehmen“, erzählt Göktan.

"Dort ist man mittlerweile ein Fremder"

Der 67-Jährige, heute selbstständiger Bilanzbuchhalter, ist fest entschlossen, nicht mehr in seine Heimat zurückzukehren. „Mit den damaligen Freunden habe ich nichts mehr zu tun. Dort ist man mittlerweile ein Fremder.“

Statistik: 9330 Türken kamen nach Mülheim, 7106 gingen zurück


Nach eben veröffentlichten Zahlen des Statistischen Landesamtes NRW sind in den Jahren von 1969 bis 2010 insgesamt 9330 Menschen aus der Türkei nach Mülheim an der Ruhr gezogen, davon kamen 2408 im Zeitraum zwischen 1969 und ‘74. Gleichzeitig zogen aber auch immer wieder Türken von Mülheim zurück in ihre Heimat: In den Jahren von 1969 bis 2010 waren dies insgesamt 7106 Personen.