Mülheim. .
Das Gesprächsklima zwischen den Kulturen in Mülheim könnte besser sein: Auf institutioneller Ebene stehen Vereine und Politik zwar in Kontakt, doch von Nachbar zu Nachbar ist das nicht selten eine andere Sache. Man bleibt unter sich. „Mancher Migrant, der hier schon seit 20 Jahren lebt, hat vielleicht noch keinen deutschen Haushalt gesehen“, sagt Annette Lostermann-De Nil, und umgekehrt, so stellt die Mülheimer Grüne fest, wissen viele Deutsche zu wenig über die Nachbarn aus einer „fremden“ Kultur.
Das soll sich in Zukunft ändern: An einem Tag des Dialogs – vorgesehen ist der 9. November – sollen sich Bürger aus 127 Nationen in der Ruhrstadt an einen Tisch setzen. Was verbindet einander, wie kann man sich gegenseitig bereichern und was soll sich im Zusammenleben verbessern? Alles das kann an diesem Tag auf den Tisch kommen, „aber auf Augenhöhe“, sagt die Grüne. Die Ergebnisse dieser Gespräche sollen festgehalten und anschließend auch veröffentlicht werden.
Angestoßen hat ihn Lostermann-De Nil nach einer Idee aus den Niederlanden. Dort treffen sich die Kulturen regelmäßig schon seit fast zehn Jahren. Auslöser für den Tag des Dialogs waren damals der Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001. Berlin und Duisburg haben diese Idee bereits vor Jahren aufgegriffen. In der Ruhrstadt wird die Mülheimer Initiative für Toleranz (MIT) federführend sein.
Die Idee: Bürger laden Bürger ein. Wer Menschen aus seinem Quartier kennen lernen oder mit ihnen über bestimmte Themen reden möchte, meldet sich bei der MIT und spricht eine Einladung aus. Bis zu acht Gäste sollen sich am 9. November an einem Tisch zusammensetzen. Die Uhrzeit, aber nicht den Tag, kann jeder mit seinen Gästen individuell verabreden. Wo? Ob privat oder an einem öffentlichen Ort, das bleibt dem Gastgeber überlassen. Die MIT hilft gerne organisatorisch dabei, einen geeigneten Raum zu finden.
Was ist Thema? „Über alles kann geredet werden“, sagt Hartmut Kremer vom Mülheimer Agenda-Lokal, das die Organisation mit übernimmt. Es gibt jedoch auch Vorgaben: Jeder muss sich vorstellen, jeder muss sagen, in welcher Weise ihn die Begegnung mit fremden Kulturen bereichert hat. „Es ist eine grundsätzlich positive Haltung gegenüber dem ,Anderssein’, mit der jeder sich an den Tisch setzen soll“, erläutert Kremer diese Vorgabe. Das hieße jedoch nicht, dass man kritische Themen vermeiden solle.
Ferner darf jeder Gast zum Abschluss drei Wünsche benennen, was sich im Verhältnis zwischen den Menschen verbessern soll, und ferner, was man selbst dafür tun kann. Drei Stunden Zeit sollen sich die Diskutanten für den Dialog nehmen.
„Es ist eine Chance, im Gespräch in die Tiefe zu gehen“, so Lostermann-De Nil. Nach Erfahrung der Ratsfrau der Grünen zeige sich dann oftmals, welche wahren Gründe hinter einem bestimmten Verhalten liegen, die im Alltag verdeckt bleiben. „So lange wir nicht ins Gespräch kommen“, sagt Inamaria Wronka von der Mülheimer Initiative für Toleranz, „wird sich auch an den Problemen im Zusammenleben nichts klären.“
In Duisburg gibt es den Tag des Dialogs bereits zum sechsten Mal. „Aller Anfang war nicht leicht“, räumt Mario Terzic vom Referat für Integration der Stadt Duisburg ein. Die Stadt und das Anti-Rassismus Informations-Centrum begannen 2006 mit nur einem Tisch, ließen sich deshalb aber nicht entmutigen. Die Zahl der Tische steigerte sich jedoch bis 2010 auf 46 mit jeweils sechs bis zehn Menschen.
„Diese Steigerung ist zum einen ein Beleg dafür, dass sich die Idee verbreitet hat“, ist Terzic überzeugt. „Wir glauben aber auch, dass dies zeigt, dass die Idee in den gelebten Alltag ausstrahlt. Obwohl dieser Tag natürlich erst einmal eine Highlight-Veranstaltung ist.“ Weitere Institutionen wie die Bürgerstiftung sind ebenfalls zum Kreis der Unterstützer hinzugestoßen.
Kritisch diskutieren
Was sich durch die Gespräche qualitativ in den Quartieren oder gar interkulturell verbessere? „Das ist nicht immer direkt greifbar“, räumt Terzic ein, es werde aber durchaus kritisch miteinander diskutiert. „Der Tag des Dialogs ist kein Kaffeekränzchen“, so der Sprecher des Referats.
Warum bedarf das Miteinanderreden eigentlich einer städtischen Organisation? Im Alltag gebe es durchaus Hemmschwellen auf beiden Seiten, manchmal auch eine falsche Rücksichtnahme gegenüber anderen Kulturen, so Mario Terzic, „manchmal bedarf es eben eines Anstoßes“.