Mülheim.
Während die Leerstandproblematik an der Leineweberstraße dramatische Züge annimmt, blühen in einer anderen Nebenstraße der City zarte Pflänzchen des Aufschwungs: Die Wallstraße macht sich. Nur: Gemerkt haben es noch nicht sehr viele. Die Kundenfrequenz lässt zu wünschen übrig. Manch ansässiger Händler bleibt deshalb skeptisch. Zu viel sei in der Vergangenheit schiefgelaufen.
Aktuell hat Schiebold von der Wirtschaftsförderung eine weitere gute Nachricht für die Wallstraße zu verkünden: An der Ecke Löhberg/Wallstraße ist ein großes Ladenlokal neu vermietet, und zwar an das Kreativ-Trio der „Ruhrpott Locals“ – einem jungen Mülheimer Modelabel.
Langsam reifen die Träume, die Wallstraße könnte Keimzelle für die lokale Kreativwirtschaft sein. Anfang August wollen die Ruhrpott Locals ihre neuen Büros plus Verkaufsraum eröffnen; schon jetzt erzeugen ihre Schaufenster-Auslagen für Aufsehen. Da werden etwa zwei Teller „Indisch Blau“ präsentiert. Ungespült, mit Soßeresten. Laut Preisschild zu haben für schlappe 719 Euro. Macht irgendwie schon neugierig auf das, was kommen mag...
"Aufschwung" wäre übertrieben
Lange Zeit hätte man der Wallstraße kein Potenzial zugesprochen. Schiebold tut es. Hier könnten Kreative „mal was ausprobieren“. Die Miete sei deutlich günstiger als an der Schloßstraße. Eigentümer zeigten sich erfreulich bereit, sich für alternative Mieter, die nicht mal eben Zehn-Jahres-Verträge abschließen können, zu öffnen. „Es wäre schön, wenn es gelingt, weiter in diese Richtung zu gehen“, so Schiebold. Freilich weiß auch er, dass der Kundenlauf beklagenswert schwach ist. Hoffnung setzt er auf das Jahresende, wenn wieder Leben sein soll im sanierten Rathaus. 460 Mitarbeiter sollen dort einziehen.
Schwer tut sich die Händlerschaft, das Wort „Aufschwung“ in den Mund zu nehmen. „Das wäre verfrüht“, sagt Marina Kloss, die das First Reisebüro leitet. Die lange Baustellenzeit, „das Kaufhof-Aus hat dieser Ecke enorm weh getan, ebenso die Verlegung des Marktes. Viele Kunden haben sich umorientiert.“ Sie beklagt Parkplatz-Not und fordert Kurzzeitparken. Wann kommen die Ruhrbania-Investoren mal zu Potte?, fragt sich Ulrich Hammann vom Fotogeschäft Beck. Hammann hat fünf enttäuschende Jahre hinter sich. Der Frust über Verkehrsführung, ständig rote Ampeln, Baustellen etc. pp. ist groß. „Die Stadt hat unsere Kunden systematisch vertrieben“, sagt er. Nicht mal das Kaufhof-Parkhaus werde offen gehalten, dafür an der Stadthalle kassiert.
Tacheles redet Hamman: „Die Schließung des Kaufhofs bricht uns hier das Genick, trotz 350 Fachgeschäften am Ort.“ Man brauche den Magneten am unteren Ende der Schloßstraße. Ein Mieter müsse dort hin, „egal welcher – und wenn’s ein Sonderposten-Markt ist. Wir haben einfach ein Frequenzproblem.“ Marina Kloss sieht doch Bewegung. „Die Werbegemeinschaft ist deutlich aktiver geworden“, sagt sie, die beitreten will, um „was Handfestes mitzubewegen. Wenn jeder seinen kleinen Beitrag leistet, könnte es noch klappen.“
Menschen mit Kultur anlocken
Rundum zufrieden damit ist Hermann Pogge, der neue WGI-Vorsitzende. Er hat die beachtliche Zahl von mittlerweile 94 Mitgliedern zu präsentieren – damit hat der neue WGI-Vorstand die Mitgliederzahl in nur acht Wochen verdreifacht. Auch an der Wallstraße gebe es „einen ganzen Schwung“ neuer Mitglieder, so Pogge. Er glaubt, dass die Nebenstraße künftig mit ihrer Individualität wird punkten können, wenn Ruhrbania und Rathaussanierung Realität sind. Der Wallstraße wünscht er die Umkehr des Einbahnstraßenverkehrs, auch eine Brötchentaste beim Parken könne helfen.
Innovativ-kreative Schubkraft für die Innenstadt: Noch sind es einige wenige, die aber engagiert dabei sind, das Netzwerk zu vergrößeren. Ihr Ziel: durch mehr Kultur und Veranstaltungen Menschen in die kränkelnde City zu bringen. Einer davon ist Michael Fehst, der seit einem Jahr den Buchladen am Löhberg 4 betreibt. Eine Erfolgsgeschichte, die hoffen lässt. Doch Fehst ist nicht nur Geschäftsmann: „Die Innenstadt liegt mir am Herzen“, sagt der Buchhändler. Sein Anliegen: Sie weiter nach vorne zu bringen – Hand in Hand. „Keiner soll für sich alleine kämpfen, sondern Unterstützung von anderen haben“.
Der Buchhändler will die lokale Kultur fördern, besonders junge Leute, „weil sie ja unsere Zukunft sind“. Autoren aus Mülheim lädt er zu Lesungen in seinen Laden ein, stellt ihre Werke auf Sondertischen heraus, macht Ausstellungen und Veranstaltungen. So präsentierten kürzlich die Schüler des Otto-Pankok-Gymnasiums und der Realschule Broich ihr gemeinsames Buch über den Künstler Otto Pankok samt einer Ausstellung über „Gewalt, Widerstand und Hoffnung“. Am Löhberg 4 ist auch das „Richtungsding“, die Zeitschrift für junge Gegenwartsliteratur, zu haben. Zum dritten Mal hat Fehst einen Preis dafür gesponsert – einen Bücherscheck. „Ich werde mich weiterhin beteiligen, soweit ich mir das leisten kann.“
„Da entwickelt sich was.“
Ein kreativer Pfad führt vom Löhberg zur Wallstraße, genauer zur „Initiative Kulturmeile Wallstraße“, die Andreas Ottawa und Frank Wolf in der Galerie von Klaus Schiemann ins Leben gerufen haben. Ihr Ziel: mit neuen, frischen Ideen die Innenstadt zu beleben. Die beiden ersten Aktionen stießen auf gute Resonanz. Bei der Benefiz-Lesung zu Fukushima am 8. Mai „wurden unsere Erwartungen sogar übertroffen“, sagt Ottawa. Mit 50 Leuten habe man gerechnet, 70 kamen. „Einige mussten sogar wieder gehen, weil die Plätze nicht reichten.“ Danach gab’s einen Tango-Salon am 20. Mai im „Perfetto“ am Kohlenkamp. Eine Veranstaltung mit Musik drin: 80 Freunde des Kulttanzes „Tango“ waren in Bewegung. Im Juli soll die nächste Aktion folgen: Aber daraus macht Ottawa noch ein Geheimnis. Bislang habe es „nur sehr positive Rückmeldungen“ gegeben. Für weitere Verbündete ist die „Kulturini Wallstraße“ offen. Mit City-Managerin Gudrun von der Linden habe man Kontakt aufgenommen, sagt Ottawa: „Wir sind gerade dabei, uns allen vorzustellen.“
Eröffnung gefeiert wurde vor kurzem im Nachbarhaus Wallstraße 15. Dort hat Gerold Hamé gleichnamige Galerie eröffnet. Seine Räume stellte er für die Fukushima-Lesung zur Verfügung. Mit Buchhändler Fehst sei er in Kontakt und habe auch schon mit Kunstmuseums-Leiterin Dr. Beate Reese über eine punktuelle Zusammenarbeit gesprochen. In seiner Galerie präsentiert er mit den Werken der Künstlerin Malgorzata Klaus bereits die zweite Ausstellung in kurzer Zeit. Ein Ergebnis des ersten Kontaktes mit dem neuen Vorsitzenden des Förderkreises fürs Kunstmuseum, Carsten Küpper, sei ein Künstlergespräch mit Malgorzata Klaus in seiner Galerie am 10. Juli. Gerold Hamé ist zuversichtlich: „Da entwickelt sich was.“
Noch weiter führt der Weg zur Kreativität: Mit dem Modelabel „Ruhrpott-Locals“ an der Ecke zum Löhberg eröffnet demnächst ein neuer Laden, der vor allem junge Leute anspricht. Die Kreativ-Wirtschaft ist sicher kein Zaubermittel, „dass eine Innenstadt retten kann“, sagt Daniela Städter von Mülheim & Business: „Aber sie bringt einiges in Bewegung“. Innovationskraft, gesteigertes Niveau, frisches Blut, mehr Leben und mehr junges Publikum. „Genau das, was wir für die Innenstadt haben wollen“, sagt Städter: „einen breiten Besatz.“ Letztlich ist es eine Imagefrage. Und an der Wallstraße ist noch Platz für frische Ideen.