Mülheim. .
Eine Redewendung will uns weismachen, dass es falsch ist, alles in einen Topf zu werfen. Wenn man sich klassische Mülheimer Gerichte anguckt, merkt man, dass das nicht stimmen kann. Denn zur alten Mölmschen Küche gehört vor allem eine Zutat: ein Topf.
In Mülheim ist alles immer durcheinander. In anderen Städten werden vielleicht die Möhren untereinander aufgetischt, nicht so an der Ruhr. Auch Graupen und Dörrpflaumen („Jan im Ssacke“) werden durcheinander serviert, ebenso Brechbohnen, Möhren und Kartoffeln („Schnieder’s Courage“). Nicht fehlen darf bei dieser Aufzählung Mölmscher Traditionsgerichte natürlich die Endivie. Wenn die, mariniert in Essig, unter Stampfkartoffeln gezogen wird, hat man das wohl bekannteste lokale Gericht durcheinander gebracht. „Endivien dore-in“ mit gebratener Blutwurst ist eines der wenigen, wenn nicht gar das einzige Mölmsche Gericht, das noch in Restaurants auf den Tisch kommt. Die Mölmsche Küche spiegelt damit die traditionelle rheinisch-westfälische Küche wieder. Auch Stielmus wurde an der Ruhr früher oft gekocht.
Das ist natürlich keine Haute Cuisine. „Arme-Leute-Essen“ ist vielmehr eine Bezeichnung, die viele wählen – und es nicht despektierlich meinen. „Früher waren die meisten Leute ja nicht reich“, setzt Franz Firla, der sich für alles Mölmsche interessiert und dazu forscht, das Ganze in Zusammenhang. Außerdem: „Früher hatten viele ab 50 ja kaum noch Zähne im Mund. Eintopf konnten sie gut essen. Da war nichts mit al dente.“ Ursula Hilberath verweist hingegen auf die Vergangenheit, als Mülheim zuerst bäuerlisches Gebiet und später vom Bergbau geprägt war. Will heißen: Man verarbeitete das, was in der Umgebung oder gar im heimischen Garten wuchs – und zwar so, dass es transportabel war. „Man konnte Eintopf in den Henkelmann tun und mit dem Löffel essen. Unter Tage war das wichtig. Mit dreckigen Kohle-Fingern konnte man schlecht eine Stullen anfassen“, vermutet Ursula Hilberath.
Die Saarner Buchhändlerin veröffentlichte mit ihrer Geschäftspartnerin Brigitta Lange 1998 das wohl maßgebliche Nachschlagewerk, die Standardliteratur, zum Thema: Das „Saarner Kochbuch“, das in der zweiten Auflage noch zu haben ist, umfasst von Kunden und Köchen eingereichte, in Mülheim verbreitete Rezepte. Damit die alten Gerichte nicht verloren gehen, regten Hilberath und Lange die Aktion an. „Meine Großmutter schüttelte diese Rezepte so aus dem Ärmel, aber ich musste sie mir mühsam anarbeiten“, sagt Ursula Hilberath. Dabei verbreiteten die alten Gerichte den Geschmack der Kindheit. Den lässt man sich doch gerne auf der Zunge zergehen.
Goldener Windbeutel 2011
„Einfach lecker“ nennt die Herausgeberin diese Ein-Topf-Küche. Franz Firla nennt sie zudem „einfach einfach“. Endivien durcheinander kommt bei Firlas regelmäßig auf den Tisch. „Schnelle Küche“ sei das, sie halte aber lange vor: „Zum bäuerlichen Alltag gehörte es, etwas auf den Herd zu stellen und dann über Stunden warm zu halten.“
Gebratene Blutwurst kommt nicht nur bei Firla, sondern auch in einigen Mülheimer Gaststätten, die dieses Gericht wiederentdeckten, zu Endivien auf den Tisch. Historisch korrekt ist das jedoch nicht: Früher gab es Panhas dazu – und da ist man dann wirklich beim „Arme-Leute-Essen“. Denn Panhas, erklärt der Wahl-Mülheimer Firla, bestand einst aus der Brühe, die bei der Wurstherstellung übrig blieb, die dann mit Mehl angedickt wurde. Meist wurde Buchweizenmehl verwendet, weil das in der Gegend wuchs und billig war. „Das“, räumt Franz Firla ein, „muss man allerdings mögen.“