Mülheim. .

Mark Sieczkarek war wieder da. Der ehemalige Haus-Choreograph des Ringlokschuppens trat mit seiner Company am Sonnabend an seiner alten Wirkungsstätte auf. Mit im Gepäck: seine neue Tanztheater-Produktion „Moon Song“.

Rund 80 Zuschauer verfolgten knapp 60 Minuten lang gespannt die außergewöhnliche Aufführung auf einem quadratischen, abgedunkelten Tanzboden. Eigentlich hasst es der 49-jährige britische Künstler, der seit 20 Jahren in Wuppertal lebt, nach eigener Aussage, in seinen Stücken eine Geschichte zu erzählen. Man solle sich lieber auf die Performance einlassen, sagt er.

Aber wenn es denn doch eine Art Geschichte gibt, dann diese: Ein türkischer Tenor, eine südkoreanische Tänzerin und ein schottischer Tänzer begeben sich auf eine gemeinsame Forschungsreise, um auszuloten, wie sich der gegenwärtige Wandel Europas auf das Leben der Menschen auswirkt. Neben großen Umwälzungen sollen „all die kleinen Veränderungen und das Zwischenmenschliche im Tagtäglichen“ in „Moon Song“ zu sehen sein, so der Programmtext. Ein mutiger Anspruch, ein so anspruchsvolles Thema auf die Bühne zu bringen…

Tänzer kreisen umeinander

Doch dem Zuschauer bietet sich ein anderes Bild: Ein Tänzer - der im schottischen Inverness geborene Mark Sieczkarek – und eine Tänzerin – die Koreanerin Jeong Lee - kreisen fast eine Stunde lang umeinander, kommen sich mit sanften, fließenden, stilisierten Bewegungen näher, berühren sich und entfernen sich wieder.

Begleitet wird das Tanztheater des Paares von teilweise wunderschöner Streichermusik der US-Komponisten Philipp Glass und John Adams aus dem Off, unterbrochen vom Gesang des türkischen Tenors Ömer Temizel von der Düsseldorfer Oper, der die ganze Zeit neben der Tanzfläche sitzt und hin und wieder kraft- und eindrucksvoll türkische Volkslieder intoniert.

Perfektes tänzerisch-schauspielerisches Zusammenspiel

Währenddessen zeigen die beiden Tänzer virtuose, filigrane, zarte und harte Körperbewegungen, die ihre wechselnden Gefühle zwischen Liebe und Nähe, Gleichgültigkeit und Entfremdung bis hin zur Abneigung und Trennung widerspiegeln. Szenen einer Ehe, Augenblicke einer Beziehung, Rituale des Alltags. Das kann jeder nachempfinden, das spricht jeden emotional an. Das perfekte tänzerisch-schauspielerische Zusammenspiel der ungleichen Partner sorgt für atemlose Stille im Publikum, bis am Ende lebhafter Applaus aufbrandet.

Doch was hat dieses multikulturelle Experiment mit Europa und seinen Veränderungen zu tun, mit seiner aktuellen Krise, etwa der Überschuldung von Griechenland, Portugal und Irland oder den neuen Kontrollen an der dänischen Grenze? Diese Frage bleibt völlig offen. Stattdessen soll sich der Zuschauer ja einlassen… Gerne, kein Problem! Andererseits: Der Zuschauer muss nicht alles bis ins letzte Detail nachvollziehen, was ihm der künstlerische Genius vorzusetzen beliebt. Ein zwiespältiger Eindruck.