Mülheim. Rechtsanwalt Dr. Jochen Weck erstritt vor dem Bundesgerichtshof (BGH) jüngst Schadenersatz für die Verluste eines mittelständischen Unternehmens aus Swap-Geschäften. Mülheim sei mit diesem Fall vergleichbar, erklärt er im Interview.
Der auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisierte Münchner Rechtsanwalt Dr. Jochen Weck hat vor dem Bundesgerichtshof (BGH) jüngst für ein mittelständisches Unternehmen Schadenersatz von der Deutschen Bank für die aus Swap-Geschäften mit der Bank entstandenen Verlusten erstritten. Das BGH hatte eine mangelhafte Beratung der Bank erkannt. Mit Weck sprach WAZ-Redakteur Mirco Stodollick über Mülheims 6,1-Millionen-Euro-Pleite mit Swaps und die Folgen des BGH-Urteils für die Stadt.
Wie bewerten Sie die in Mülheim getätigten Geschäfte mit Korridor-Swaps, sind sie zwingend unter das Spekulationsverbot für Kommunen in der Gemeindeordnung zu führen?
Jochen Weck: Korridor-Swaps sind uns aus anderen Verfahren bekannt. Sie sind spekulativ und hätten gar nicht erst angeboten werden dürfen. Wenn ein Kunde nicht spekulieren darf, stellt bereits das Angebot eine Pflichtverletzung dar. In den uns bekannten Fällen haben die Banken den spekulativen Charakter bewusst - zum Beispiel durch eine falsche „Etikettierung“ als Swap - verschleiert, weil gerade die kommunalen Kunden derartige Produkte sonst nicht abgeschlossen hätten. Ein Kämmerer wird nicht wissentlich gegen das Spekulationsverbot verstoßen. Er glaubt einen Swap abzuschließen. Insofern ist auch der oft erhobene Vorwurf der „Zockerei der Kommunen“ falsch. Wenn ein Kämmerer der Beratung und der Empfehlung einer Bank vertraut, zockt er nicht, sondern wird bewusst und zielgerichtet zum Abschluss des Geschäfts verleitet.
Die Stadt hat bereits im Jahr 2008 durch ihr eigenes Rechtsamt prüfen lassen, ob Haftungsansprüche bestehen. Ergebnis: Nein. Die Bank habe nicht falsch beraten, die Geschäfte zwischen Banken und Stadtkämmerer seien „unter zwei Kaufleuten auf Augenhöhe“ ausgehandelt worden.
Weck: Eine „Augenhöhe“ läge nur vor, wenn der Kämmerer umfangreiche Kenntnisse und Erfahrungen mit kompliziert strukturierten Finanzderivaten hat. Er müsste zugleich Kenntnisse über die Bedeutung finanzmathematischer Bewertungsmodelle haben. Das sind allerdings die Geheimnisse der Banken. Mir ist jedenfalls kein Fall bekannt, bei dem ein Kunde derartige Kenntnisse hatte. Im Gegenteil, die Verschleierung der Risikostruktur zulasten des Kunden gehört zur Verkaufsstrategie der Banken. Möglicherweise hat das Rechtsamt der Stadt bis heute noch keine finanzmathematische Analyse in Auftrag gegeben und deswegen die ungleiche Risikostruktur noch gar nicht erkennen können. Die Banken versuchen immer, den Anschein zu erwecken, es komme auf eine Zinsmeinung an. Auf dieser Grundlage würde keine Bank derartige Geschäfte abschließen. Auch wenn 2008 die ersten Swap-Prozesse schon liefen, war diese Struktur noch nicht allgemein und wohl auch im Rechtsamt nicht bekannt.
Überhaupt komme eine Klage nicht in Frage, weil Ansprüche, die es nicht gebe, ohnehin verjährt seien. Insgesamt sei der BGH-Fall nicht mit dem in Mülheim zu vergleichen. Was sagen Sie dazu?
Weck: Die Banken strukturieren derartige Produkte bewusst zulasten des Kunden und verschweigen den damit verbundenen Interessenkonflikt vorsätzlich. Es gilt dann nicht eine dreijährige spezialgesetzliche Verjährungsfrist, sondern eine allgemeine Verjährungsfrist, die auch in Mülheim noch nicht abgelaufen sein dürfte. Insofern ist der BGH-Fall mit Mülheim vergleichbar. Darüber hinaus bestehen nach unserer Auffassung Rückabwicklungsansprüche wegen der Unwirksamkeit derartiger Geschäfte im kommunalen Bereich. Diese Ansprüche sind jedenfalls nicht verjährt.
Sie vertreten eine Stadt bei der Schadenersatz-Klage gegen eine Bank, mit der sie Swap-Geschäfte gemacht hat. Beschreiben Sie kurz den Inhalt der Klage.
Weck: Die Bank trat an die Stadt heran und empfahl als Maßnahme zur Haushaltskonsolidierung eine „Zinsoptimierung“. Angeboten wurde ein spekulatives Finanzderivat, dem das falsche Etikett „Swap“ aufgeklebt wurde. Mit dem Etikett „Swap“ sollte der Bezug zu zulässigen und häufig sinnvollen Swap-Geschäften hergestellt werden, mit denen man ein niedriges Zinsniveau ausnützen könnte. Wegen eines Verstoßes gegen das Spekulationsverbot berufen wir uns einerseits auf die Unwirksamkeit dieser Verträge. Andererseits stellt auch in diesem Fall das Angebot eines spekulativen Geschäfts eine Pflichtverletzung der Bank dar. Nach dem Urteil des BGH ist zumindest diese Schadensersatzpflicht jetzt mit besten Erfolgsaussichten durchsetzbar. Dieser Fall ist mit Mülheim vergleichbar.
Man sollte nicht verschweigen, dass sie natürlich auch deswegen Kommunen den Klageweg anraten, weil ihre Kanzlei sich davon Aufträge verspricht. Warum sind Sie so eifrig dabei, Kommunen zur Klage zu bewegen?
Weck: Wir raten den Kommunen nicht den Klageweg an, sondern in einem ersten Schritt eine sorgfältige und fundierte Prüfung der Rückabwicklungs- oder Schadensersatzansprüche. Wenn diese Prüfung zu einem positiven Ergebnis führt, empfehlen wir unseren Mandanten immer erst eine außergerichtliche Vorgehensweise gegen die jeweilige Bank. Erst wenn keine einvernehmliche Lösung zustande kommt, empfehlen wir die Beschreitung des Klagewegs. Auch bei guten Erfolgsaussichten ist es immer die Entscheidung der Kommune, den Rechtsweg zu beschreiten. Hier erkennen die Kommunen bzw. die Stadträte allerdings häufig selbst, dass sie möglicherweise sogar zum Handeln verpflichtet sind, weil sie nicht über eigenes Geld entscheiden, sondern über das Geld der Bürger. Berechtigte Ansprüche nicht geltend zu machen, erscheint in derartigen Fällen aus Sicht der Verantwortlichen nicht der richtige Weg zu sein. Andererseits sind wir natürlich nicht moderne „Robin Hoods“. Wir haben den Anspruch an uns selbst, beste Arbeit zu leisten und wollen und müssen mit unserer Arbeit Geld verdienen.