Mülheim. Beim SPD-Unterbezirksparteitag ließen die Delegierten ihre neue Führungsspitze schlecht aussehen. Die stellvertretende Parteivorsitzende Margarete Wietelmann wurde gar mit nur 42 Prozent Zustimmung abserviert. Von Mobbing in der Partei ist die Rede.

Eine „atmende Partei“ wünschte sich Peter Leitzen aus dem SPD-Ortsverein Saarn-Selbeck-Mintard zu Beginn des Parteitages am Samstagmorgen in der Stadthalle. Was er und die Genossen dann im Laufe des Tages erleben konnten, war eher eine um Luft ringende Partei, die bei den Vorstandswahlen ein Debakel erleben musste und sich seit diesem Wochenende der Frage gegenüber sieht: Wie zerstritten sind sie in Mülheim, wenn der scheidende Vorsitzende Frank Esser von Mobbing in der Partei spricht und sein Nachfolger, Lothar Fink, fast mahnend ein Zusammenraufen von Partei, Fraktion und OB fordert wie Loyalität?

Lothar Fink wurde mit 80 Prozent der Stimmen gewählt. Immerhin jeder fünfte der 145 Delegierten will ihn nicht. Doch damit könne er leben, sagte er, nicht ahnend, dass der Parteitag seine vom Unterbezirks-Vorstand auserkorene Stellvertreterin Margarete Wietelmann, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Stadtrat, wenig später mit lediglich 42 Prozent der Stimmen eiskalt abservierte. Und dann auch noch Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld mit nur 72 Prozent Zustimmung zwar erneut zur stellvertretenden Parteivorsitzenden wählte, aber ihr mehr als einen Denkzettel verpasste. Zustimmung und Rückenstärkung für den harten politischen Mülheimer Alltag sehen anders aus.

Zwischen den Fronten

„Ich bin seit 40 Jahren in der Partei, so etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt Margarete Wietelmann, 60 Jahre, erfahren in der Kommunalpolitik und Vorsitzende des Ortsvereins Speldorf. Ehrlicher hätte sie es gefunden, wenn ein Gegenkandidat angetreten wäre. Eine Erklärung hat sie für ihre Niederlage so recht nicht: „Ich bin wohl zwischen die Fronten geraten“.

Fronten, Mobbing, Strippenzieher – auf dem Parteitag sind sehr kritische Töne auf der Bühne und hinter den Kulissen zu hören. Auch das: „Ich lass’ mich nicht wegdrängen“, so ein noch recht aktiver Genosse zur WAZ.

Schon im Vorfeld des Parteitages gab es reichlich Zoff und Unmut. Wie die WAZ erfuhr, ist Margarete Wietelmann von Teilen der Partei zur Kandidatur gedrängt worden, um Mathias Kocks (39), den bisherigen stellvertretenden, kritischen Vorsitzenden loszuwerden. Dabei genießt Kocks in der Öffentlichkeit als weitsichtiger Bildungsexperte, als bürgernaher Politiker einen guten Ruf. Kocks zog in den vergangenen Tagen seine Kandidatur zurück, wollte in einem solchen Klima nicht mitspielen, begründete dies beruflich, um die Partei nicht zu belasten. So verdrängt die SPD, die über Überalterung klagt, junge Leute. „Warum tritt eine 60-Jährige gegen einen 39-Jährigen noch an“, fragten sich mehrere Delegierte und wollten das Spiel nicht mitspielen.

Neuer Parteivorsitzender

Noch viel ärgerlicher sei, so der bisherige Vorsitzende Frank Esser, dass der Parteitag die Oberbürgermeisterin so schlecht aussehen ließ. „Das ist völlig sinnlos, so schwächt man eine Partei.“ Esser hatte nach sechs Jahren den Vorsitz aus beruflichen Gründen zur Verfügung gestellt.

Die SPD steht nun mit einem neuen Parteivorsitzenden da, der soziale Themen, den Gerechtigkeitsgedanken künftig in den Vordergrund stellen wird, und mit einer politisch angeschlagenen Stellvertreterin Dagmar Mühlenfeld. Für den zweiten Stellvertreterposten muss auf dem nächsten Parteitag ein neuer Anlauf genommen werden. „Ich hoffe, meinte ein Genosse, „dass langsam alle begreifen, dass die Zeiten des Strippenziehens vorbei sind.“

Fink kündigte an, die SPD in Mülheim, die aktuell noch 2115 Mitglieder hat – es waren Mitte der 70er mal 5126 – hat, familienfreundlicher zu machen. Damit meint er vor allem, dass die Mitarbeit in der Partei mit Familie und Beruf besser in Einklang gebracht werden müsse. Fink sieht wie viele andere Unterbezirksvorsitzende auch, dass die SPD schrumpft und immer älter wird. Kein einfacher Job für den neuen Mann an der Spitze. Wie die nette freundliche Familie von nebenan, in der jeder jedem vertrauen kann, wirkt die SPD derzeit nicht.