Mülheim. . Eine Frau aus Mülheim mit Messie-Syndrom schildert ihr Leben, in dem sie Aussortieren stets plant, aber selten schafft. Psychologen konnten nicht helfen, der Besuch einer Selbsthilfegruppe schon. Ihre Berufswahl zeigt die Komplexität der Krankheit.

Es gibt Krankheiten, da glaubt jeder gleich Bescheid zu wissen. Das Messie-Syndrom ist so eine. „Das sind doch die mit den vollgemüllten Wohnungen...“ Stimmt. Und stimmt nicht. Eine Messie-Wohnung, das ist nicht zwingend das, was viele aus den Reportagen im Privatfernsehen kennen. Schlimmes Durcheinander, kaum noch begehbare Wege durch die Zimmer, Essensreste, Dreck und lauter volle Müllbeutel bis unter die Decke – all das gibt es bei Messies. Aber das Bild kann auch ein anderes sein. Eins, das für die Fernsehkameras nicht so spannend ist, widersprüchlich: Ein sortiertes Chaos, wie es die 51-jährige Maria (Name von der Redaktion geändert) aus Mülheim daheim hat.

"Wegwerfen geht nicht"

Messie sein – für sie ist das das Wissen, dass ihre Einstellung gegenüber nutzlosen Dingen keinen Sinn ergibt. Es ist das Sammeln von allem, was ihr in die Hände kommt, und „der ständige Leidensdruck“, wenn sie weiß, dass sie auf dem Flohmarkt das zwanzigste Plüschtier oder die zehnte Standlampe eigentlich nicht kaufen sollte. Dass sie sich den großen Müllbeutel schnappen und kräftig aussortieren müsste. Maria weiß die Ausreden zu entlarven, die ihr Kopf so oft für sie zurechtlegt. Ihre Macht verlieren sie dennoch nicht: „Das ist doch noch gut“, redet sie sich dann ein. „Das kann man bestimmt einmal gebrauchen.“

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Maria weiß, dass das Quatsch ist. Natürlich braucht sie all die alten Videokassetten, Keksdosen, Stofftiere, Lampen, Zeitschriften und so vieles mehr, was sie seit 12 Jahren sammelt, nicht. Aber, und der Satz steht noch immer wie ein Fels in der Brandung ihrer inneren Zerrissenheit: „Wegwerfen geht nicht.“ So erklärt sie es zu großen Taten, wenn sie einmal „zwei Umzugskartons mit Büchern gepackt“ und bei der Bücherei abgegeben hat. Ein Sack Stofftiere ging zum Kinderschutzbund. „So kann das noch jemand benutzen...“

Verlust und Gefühlschaos als Auslöser

Es sind die zaghaften Versuche, eine Sammelwut in den Griff zu bekommen, die mit dem Tod ihrer Mutter endgültig begonnen hatte. „Verlust ist immer ein Auslöser“, sagt Maria. „Man holt sich einen Gefühlsersatz.“ Bei den meisten Dingen weiß sie gar nicht mehr, wann sie sie wie bekommen oder gekauft hat. Das Festhalten hätten ihr schon ihre Eltern vorgemacht. „Kriegsgeneration“, sagt Maria. „Die haben nichts weggeworfen.“ Als Kind habe ihr das widerstrebt: „Ich wollte nie so werden!“ Mit dem Gefühlschaos nach der Geburt ihres Kindes und dem Tod der Mutter brach es dann aber doch aus.

Seit Jahren geht sie zu einer Selbsthilfegruppe in Essen. Ihr Mann hatte die Reißleine gezogen, als die Wohnung völlig zu vermüllen drohte. Auch für ihren inzwischen 15-jährigen Sohn tut sie das. Sie hat ein Zimmer, in dem sie all ihre Dinge unterbringt. Der Rest der Wohnung ist Tabu, an der Türschwelle zu den übrigen Zimmern beginnt eine andere Welt. „Da kann ich aufräumen.“ Dennoch: Absurde Szenen sind das, wenn sie mit dem pubertierenden Teenager über den Zustand seines Zimmer streitet. Wie soll sie ihm sagen, dass er mehr aufräumen muss? „Natürlich antwortet er da gleich: ‘Mama, dein Zimmer sieht doch auch so aus.’“

Psychologen können nicht helfen

Beim Thema psychologische Betreuung winkt Maria ab. „Habe ich versucht. Könnte Sinn machen, wenn sich die Psychologen auskennen würden.“ Tun sie nicht, sagt sie. Die Erfahrung hätten in der Selbsthilfegruppe alle ge­macht. So bleiben die Messies lieber unter sich. Ohnehin hat die Krankheit viel mit Scham zu tun. „Vor meinen Freunden hatte ich ein Outing“, sagt Maria. Wenn sie vorher jemanden einlud und der sagte „Du könntest aber mal aufräumen“, tat das weh. „Mit dem Eingeständnis der Krankheit habe ich mich unangreifbar gemacht.“

So weit sind nicht alle in der Messie-Gruppe. Aber von außen erwarten sie sich auch gar keine zupackende Hilfe. Bei einem hätte sich einmal der Vermieter angekündigt. „Da war klar, die Wohnung muss so schnell wie möglich aufgeräumt werden“ , erinnert sich Maria. Viele halfen, sortierten, schmissen weg. Geholfen hat es gegen die Krankheit nicht. „Die Wohnung sah nach einem halben Jahr wieder genauso aus.“

Zwischen den Extremen

Was hilft, sind kleine Tricks, wie mit dem Kürmels-Zimmer. Und: „Was du in 30 Sekunden schaffst, kannst du sofort tun.“ Denn oftmals, berichtet Maria, beschäftigen sich Messies sehr intensiv damit, wie sie die Wohnung und das Leben auf Vordermann bekommen könnten. „Wir sind ja auch Perfektionisten.“ Dann schmiedet sie große Pläne. „Aber was nicht perfekt zu machen geht, tun wir dann lieber gar nicht.“

Wie viele Messies würde man auch Maria in ihrem Berufsleben kaum wiedererkennen: Sie arbeitet als Putzfrau. „Das ist das andere Extrem. Da verbinde ich keine Gefühle mit den Dingen, wenn ich aufräume.“