Mülheim.

Überall wird von den Stromnetzen der Zukunft gesprochen – ein Netzbetreiber hat es in der Hand, die Entwicklung unter und auf der Erde voranzutreiben, damit die vielfältiger werdenden Quellen der (dezentralen) Energieerzeugung angezapft werden können. Und ein Netzbetreiber verdient Geld. Für jede Kilowattstunde Leistung, die durch seine Leitungen fließt, kassiert er Netznutzungsentgelte. Warum sollte Mülheim sein Netz also nicht selbst betreiben?, fragen sich manche Rats­politiker im aktuellen Vergabeverfahren um die Stromkonzession. Schließlich könne der Kämmerer einen Millionengewinn gut gebrauchen.

Politisch erzwungene Bewerbung

Die Medl-Geschäftsführung schweigt zu ihrer politisch erzwungenen Bewerbung um die Stromkonzession, wohl wissend, dass die Stadtspitze als Mutter und RWE als Anteilseigner kein Interesse zeigen. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) beschreibt derweil Argumente für die Rekommunalisierung der Energieversorgung. Der Stadt böten sich bei Netzbetrieb durch die Medl neue Möglichkeiten der Steuerung, etwa für einen gezielten Netzausbau und Investitionen, auch für eine optimierte Nutzung erneuerbarer Energien. Kritiker der Konzessionsvergabe an RWE bringen an, der Konzern könne seine Investitionsentscheidungen für den Ausbau des Netzes etwa so treffen, dass Schwerpunktstandorte für die dezentrale Einspeisung alternativer Energien in ihrer Entwicklung gehemmt wären.

„Konzessionsverträge bieten die Chance, kommunalen Einfluss auf die Netzinfrastruktur sicherzustellen“, sagte bereits im August 2009 Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. In einer gemeinsam mit dem Städtetag und dem VKU herausgegebenen Publikation wird insbesondere die zunehmende Bedeutung kommunaler Klimaschutzkonzepte angeführt, denen ein Netzbetrieb in Eigenregie zuträglich sei.

Mehr Solarenergie

So hat Mülheim das Ziel formuliert, bis zum Jahr 2030 den CO2-Ausstoß um 50 % im Vergleich zum Jahr 1990 verringern zu wollen. Mehr Solarenergie soll ins Netz kommen, Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) Nachtspeicherheizungen zurückdrängen. Zitat aus dem zur Diskussion stehenden Programm: „Durch die Installation eines dritten BHKW-Moduls [BHKW = Blockheizkraftwerk] bei der Medl könnte lokal produzierter effizienter Strom lokal vermarktet und verwendet werden, ergänzend zu eingekauftem Ökostrom. In Zukunft sollte ein weiterer Ausbau auch im Bereich der Mikro-KWK-Anlagen über die Medl stattfinden.“

Wer kommunalwirtschaftlich Strom und Wärme erzeugt, braucht entsprechend ausgebaute Netze, um die Energie zum Verbraucher zu transportieren und die Abhängigkeit von Fernleitungssystemen zu verringern. Der Umbau des Systems hin zu mehr nachhaltiger und dezentraler Energieversorgung, vom Kraftwerksbetreiber RWE nur zähneknirschend im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben akzeptiert, macht darüber hinaus viel Beratung für Bürger notwendig. Ein Netzbetreiber mit einem entsprechenden kommunalen Klimaschutzkonzept im Rücken könnte hier die Informationshoheit unter seinem Dach bündeln.

Heimische Wirtschaft profitiert

Weiter mit den VKU-Argumenten pro kommunalem Netzbetreiber: Aus finanzieller Sicht sei der Netzbetrieb für Städte lukrativ, das von der Bundesnetzagentur reglementierte Netzgeschäft wirft zurzeit immer noch eine Rendite von 8 bis 9 % vor Steuern aus. Gesetzlich geforderte Effizienzsteigerungen von 1,25 % jährlich schafften zusätzlich Spielräume, etwa um das Geschäft um Netzdienstleistungen für Dritte auszuweiten. „Aufgrund von Reinvestitionsbedarfen in die Infrastruktur, zunehmender Einbindung von dezentralen Erzeugungsanlagen sowie wachsender Bedeutung von Energieeffizienz und Nachhaltigkeitsinitiativen“, heißt es in der VKU-Publikation, „kann in diesem Geschäftsfeld von einem stabilen Marktwachstum ausgegangen werden.“

Darüber hinaus profitiere von einem Netzbetrieb in kommunaler Hand in der Regel auch die heimische Wirtschaft. Sie habe am Auftragsvolumen eines städtischen Netzbetreibers im Schnitt zu 72 % teil. Hingegen vergäben Konzerne, die ein Netz betreiben, durchschnittlich nur 28 % ihrer Aufträge ans lokale und regionale Handwerk und an den Mittelstand vor Ort. Letztlich, so der VKU, steigere der Netzbetrieb in Eigenregie das Image der Stadt: „75 % der Bevölkerung möchte von eigenen Stadtwerken versorgt werden.“