Mülheim. Das Programm an Prozesstag vier gegen einen Polizisten des PP Essen/Mülheim war intensiv: „Ihm war klar, dass das, was er tat, nicht gut war.“
An den ersten drei Verhandlungstagen im Prozess gegen einen Polizisten des Präsidiums Essen/Mülheim war es nicht gelungen, vier Gewaltvideos abzuspielen, die der 44-Jährige per WhatsApp an Bekannte verschickt haben soll. Am Freitag waren alle technischen Probleme gelöst. Und Claudia Lubenau, Vorsitzende Richterin des Schöffengerichts, warnte die Prozessbeteiligten und Zuschauer mit den Worten: „Ich hoffe, Sie haben nicht allzu viel gefrühstückt.“ Es war keine Übertreibung: Die Sequenzen, die auf der Leinwand erschienen, waren durchaus geeignet, Brechreiz auszulösen.
Ein Tiger, der sich einen Mann vorknöpft und ihm schwerste Verletzungen zufügt. Eine Sex-Szene, der eine Hinrichtung folgt. Eine Gruppe von Männern, die minutenlang auf einen Wehrlosen am Boden eintreten und einschlagen. Ein Angreifer, der eine Frau auf offener Straße in Kürze bewusstlos schlägt. Das alles war harter Tobak - der Angeklagte aber zeigte wenig Regung. Anders Richterin Lubenau, die einen kurzen Schlagabtausch mit Verteidigerin Victoria Grenz auch so begründete: „Wenn ich so etwas sehe, bin ich halt nicht mehr freudig erregt.“ Anfang Mai hatte der 44-Jährige eingeräumt, dass er die Inhalte zwischenzeitlich als „verwerflich und abstoßend“ ansehe. Er wolle sich dafür entschuldigen.
Angeklagter beruft sich vor dem Amtsgericht Mülheim vielfach auf Erinnerungslücken
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Für die Staatsanwaltschaft hat er sich mit dem Versenden dieser Filme nach § 201 a StGB strafbar gemacht; dieser Paragraf trägt die Überschrift „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen“. Der 44-Jährige beruft sich teils auf Erinnerungslücken und teils darauf, dass einer der Filme nur aus dienstlichem Anlass versendet worden sei. Der Übergriff der Männer auf den Wehrlosen sei an einer Essener Schule gedreht worden, ließ er seine Anwältin mitteilen.
In den folgenden drei Stunden verlas die Vorsitzende fast nonstop WhatsApp-Chats des Angeklagten mit Verwandten und Bekannten. Dabei soll er Dienstgeheimnisse ausgeplaudert haben - oft, weil er gezielt nach internen behördlichen Informationen gefragt wurde, oft aber auch aus eigener Motivation. Insgesamt 75 Handy-Unterhaltungen dieser Art zwischen 2017 und 2020 listet die Anklage auf. Einiges davon hat der Polizist eingeräumt - „ich schäme mich dafür, ich habe mich nicht so verhalten, wie ein Polizeibeamter sich verhalten sollte“ -, an anderes will er sich nicht erinnern können. Die Verteidigung ist im Übrigen der Ansicht, dass es zumeist nicht um Verletzung von Dienstgeheimnisse geht, sondern allenfalls um Privatgeheimnisse. Die Informationen aus den behördlichen Registern oder auch den Einsatzberichten habe er ja nicht einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, sondern nur einigen Vertrauten.
„Kannst du für mich mal nachsehen?“ - „Mache ich gern. Aber vertraulich behandeln“
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So zum Beispiel einem Bekannten aus Essen, dessen Name im Amtsgericht Mülheim immer wieder fiel. Der meldete sich etwa mit der Frage „Kannst du für mich mal nachsehen?“ und erhielt rasch ein „Mache ich gern“ zurück. Laut der verlesenen Chats recherchierte der Angeklagte daraufhin in behördeninternen Datenbanken und erteilte beispielsweise Auskunft über Namen, Wohnorte, Vorstrafen der angefragten Personen.
Er teilte dem Bekannten auch bereitwillig und in aller Ausführlichkeit mit, was er über Unglücksfälle etc. erfuhr: so zum Beispiel über die Geiselnahme am Kölner Hauptbahnhof im Oktober 2018 oder über die Amokfahrt am Kiepenkerl in Münster im April gleichen Jahres. Seine Dienste kündigte er damals an mit den Worten „Falls Du mal alle Details dazu lesen möchtest“. Als pdf, so hieß es vor Gericht, hängte er den Kurznachrichten gern Einsatzberichte oder Lage-Fortschreibungen an, fotografierte auch mal seinen PC mit geöffneten Dokumenten ab.
Auch Mülheims ehemaliger Oberbürgermeister, Ulrich Scholten, spielte in einem der Chats eine Rolle
Auch Mülheims ehemaliger Oberbürgermeister, Ulrich Scholten, spielte in einem der Chats eine Rolle: Vor Gericht war zu erfahren, dass der Angeklagte seinen Freund unmittelbar nach dem Tod von Scholtens Ehefrau Mitte 2018 über die genauen Umstände aufklärte und über persönlichen Daten der Verstorbenen. „Das ist ja heftig“, schrieb der Freund zurück.
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Häufig soll der Angeklagte seine Nachrichten mit Vermerken wie „Bitte nicht weiterschicken“ oder „Infos vertraulich behandeln“ versehen haben - für die Vorsitzende Richterin ein klares Zeichen dafür, „dass dem Angeklagten bewusst war, dass das, was er tat, nicht so ganz gut war“.
Häufiger gab es am Ende ein „Dankeschön“ oder auch mal ein „Ich schulde dir jetzt einen Döner“
In einer Chatgruppe mit Verwandten drehte es sich oft um Geschehnisse an einer bestimmten Straße in Essen. Laut der verlesenen Nachrichten informierte der Polizist zum Beispiel über gerade angelaufene Einsätze. Es ging zwischen den Beteiligten dann um Details der Vorfällen („die Frau hatte keine Hose an und war völlig am Ende“) oder um Bewertungen der Situation („die Person ist jetzt in der Klapse“ - „das wundert mich nicht“). Häufiger gab es am Ende des Austausches ein „Dankeschön“ für den Polizisten oder auch mal ein „Ich schulde dir jetzt einen Döner“.
Der nächste Verhandlungstag vor dem Amtsgericht Mülheim steht am 26. Juni an.
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