Mülheim. Eine Krebs-Patientin sollte mit relativ guten Aussichten operiert werden, dann aber stirbt die Frau. Wieso der Prozess wenig Klarheit brachte.
Wegen eines möglichen Behandlungsfehlers mit tödlichen Folgen musste sich der ehemalige Oberarzt Dr. O. des Evangelischen Krankenhauses am Mittwoch, 10. April, vor dem Amtsgericht Mülheim verantworten. Dem 58-Jährigen wurde in der Anklage wegen fahrlässiger Tötung durch Staatsanwältin Katharina Schmidt vorgeworfen, dass er bei einer Operation einer damals 78-jährigen Patientin im November 2018 seine Sorgfaltspflichten nicht beachtet habe.
Der Mediziner, so die Anklage, habe die alte Dame, bei der man Lungenkrebs festgestellt hatte, nicht ausreichend über alternative Behandlungsmöglichkeiten informiert und auch das Operationsteam nicht genügend in ein neuartiges Bronchoskopie-Gerät eingewiesen, das bei der Behandlung der Frau benutzt worden sei. Das Gerät war bei der Behandlung entflammt und hatte dadurch in der Lunge der Patientin Schäden angerichtet, die fünf Tage später zu ihrem Tod geführt hatten.
Mülheimer Ex-Oberarzt ließ Anwälte sprechen
Der angeklagte Arzt ließ von seinen beiden Rechtsanwälten Hartmann und Klein eine Einlassung vorlesen. Darin zeichneten die Juristen das Bild eines Mannes, der sich aus einfachen Anfängen als Pferdewirt, über ein nachgeholtes Abitur und ein Medizinstudium bis zum angesehenen Oberarzt hochgearbeitet hatte. Zum Fall erklärten die Anwälte, dass ihr Mandant den Tod der alten Dame sehr bedaure, aber vor der OP sorgfältig geprüft habe, ob sein Team alle OP-Gerätschaften auch ordnungsgemäß vorbereitet hatte.
Der 58-Jährige habe seinem mitbehandelnden Team auch den Eingriffsplan für die Operation frühzeitig bekannt gemacht. Erst im Rahmen des Eingriffs sei ihm klar geworden, dass mindestens einer der beteiligten Mitarbeiter mit dem Bronchoskop nicht vertraut gewesen sei. Auch könne eine kurze Ablenkung einer seiner Operateure, der seinen letzten Arbeitstag im Krankenhaus gehabt haben soll und kurz von anderen Kollegen verabschiedet worden sei, das Problem verschärft haben. Als das Gerät entflammte, habe er als Oberarzt die Behandlung mit dieser Technik sofort abgebrochen.
OP in Mülheimer Krankenhaus erfolgte mit neuem Gerät
Ebenfalls ließ sich der Angeklagte über seine Anwälte zu der Frage ein, warum man gerade die Behandlung mit einem Gerät gewählt habe, mit dem es noch keine großen Erfahrungen gegeben habe. Auch wenn es bewährte Behandlungsmöglichkeiten gegeben habe, so habe sich O. „aus gutem Grund“ für die Operation mit dem neuen Bronchoflex-Gerät entschieden, mit dem Krebsgewebe entfernt und die Atemwege der Patientin wieder freier gemacht werden sollten. Eine Behandlung mit einem anderen Gerät hätte eine Vollnarkose erfordert und auch eine längere Wartezeit mit sich gebracht, was er beim Zustand der Frau nicht vertreten wollte.
Die vor Gericht anwesende Tochter der Verstorbenen beklagte: „Meine Mutter war zwar krebskrank, aber wir haben keineswegs mit ihrem baldigen Ableben gerechnet. Ihr Tod war für unsere Familie ein Schlag. Ich konnte noch nicht einmal von ihr Abschied nehmen, weil sie nach dem Eingriff im Koma lag.“
Mülheimer Richterin entschied sich für ein Rechtsgespräch
Die verhandelnde Richterin Frau Eichler, die Staatsanwältin und die Verteidiger zogen sich nach der Erklärung des angeklagten Arztes zunächst zu einem Rechtsgespräch zurück. Ein zur Verhandlung bestellter Sachverständiger für Pneumologie, Prof. Dr. Krüger, wurde letztlich nicht mehr zu seiner Einschätzung befragt. Auch die seinerzeitigen OP-Mitarbeiter, die als Zeugen vorgeladen waren, wurden nicht mehr vernommen.
Nach dem Rechtsgespräch, das unter Ausschluss der Saalöffentlichkeit stattfand, erklärte die Richterin: „Wir haben uns auf eine Verfahrenseinstellung verständigt. Die Beweislage ist in diesem Fall nach so langer Zeit sehr schwierig.“ Das Gericht sprach gegen den Angeklagten schließlich die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage von 7.000 Euro aus. Das Geld muss an zwei Hospize, unter anderem in Mülheim, bezahlt werden. Die Strafverfahren gegen die Mitarbeiter des Angeklagten waren schon vor einiger Zeit aus Mangel an Beweisen eingestellt worden. Der ehemalige Oberarzt ist mittlerweile nicht mehr am Evangelischen Krankenhaus und arbeitet nach Bekunden seiner Verteidiger auch nicht mehr als Operateur, sondern als Psychotherapeut.
Verfahren eingestellt: einige Fragen bleiben offen
Für den unbedarften Beobachter blieb bei Prozessende indes einiges im Unklaren. Hatte bei der Operation ein technischer Defekt des Gerätes oder ein Bedienfehler vorgelegen? Hatte Dr. O. tatsächlich seine Sorgfaltspflichten vor der Operation erfüllt oder wollte er mit seiner Einlassung vor Gericht seinen jungen Mitarbeitern den Schwarzen Peter zuschieben? Und warum waren zwischen dem Unglücksfall und dem Gerichtsverfahren fünf Jahre vergangen? Manche Fragen blieben in diesem Verfahren letztlich offen.
Auf Anfrage erklärte die Pressesprecherin des Evangelischen Krankenhauses: „Wir bedauern das Geschehen, und unser tiefes Mitgefühl gilt nach wie vor den Angehörigen. In dem heutigen Verfahren hätten wir uns eine umfassende Aufklärung durch Anhörung aller Beteiligten gewünscht.“
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