Mülheim. Die Friedrich-Wilhelms-Hütte, ein Schwergewicht der Mülheimer Industriegeschichte. 1964 war ein einschneidendes Jahr für den Betrieb an der Ruhr.

Kohle und Stahl stehen für die Industrialisierung, auch in unserer Stadt an der Ruhr. „Gestern letzter Abstich: FWH-Hochofen wurde stillgelegt!“, titelt diese Zeitung am 9. Mai 1964.

Zwei Jahre vor Mülheims letzter Zeche, der Rosenblumendelle, wird in der 1811 von Johann Dinnendahl gegründeten und nach seinem späteren Teilhaber Friedrich-Wilhelm Liebrecht benannten Friedrich-Wilhelms-Hütte (FWH) Mülheims letzter Hochofen stillgelegt. Damit geht in der FWH eine lange Geschichte der Roheisenherstellung mithilfe eines Hochofens zu Ende.

Letzter Mülheimer Hochofen nach 123 Jahren unentwegter Produktion stillgelegt

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Etwas wehmütig zurückblickend schreibt der Mülheimer Lokalredakteur Friedrich Bertram 1965: „Das alles ist nicht mehr: Blutrotes Leuchten am nächtlichen Himmel über der Ruhr, das Tosen eines polternden, zischenden und brüllenden Orkans zwischen Öfen, Walzen, zwischen Kränen und grauen Gerüsten. Seit mehr als einem Jahr ist Mülheims Friedrich-Wilhelms-Hütte nur noch dem Namen nach eine Hütte. Wo früher vermummte Gestalten in gleißender Hitze flüssigem Roheisen den Weg bahnten, herrscht Stille. Nach 123 Jahren unentwegter Produktion wurde im Mai 1964 dem letzten Hochofen der Hütte das Lebenslicht ausgeblasen.“

Das alles ist nicht mehr: Blutrotes Leuchten am nächtlichen Himmel über der Ruhr, das Tosen eines polternden, zischenden und brüllenden Orkans zwischen Öfen, Walzen, zwischen Kränen und grauen Gerüsten.
Friedrich Bertram - Lokalredakteur in Mülheim im Jahr 1965

So wie die Stilllegung ihres letzten Hochofens und der damit verbundenen Kokerei vor 60 Jahren eine der vielen Etappen des Strukturwandels der damals 4866 Menschen beschäftigenden Hütte war, so war auch die Inbetriebnahme ihres ersten, vom Techniker Julius Römheld geplanten Kokshochofens 1849 eine Entwicklungsetappe des traditionsreichen Stahlindustriebetriebs. Denn der erste, 12,8 Meter hohe und 3,5 Meter breite Kokshochofen der FWH war vor 175 Jahren auch der erste Kokshochofen des Ruhrgebietes. Bis dahin wurden Hochöfen zur Eisengewinnung nur mit Holzkohle befeuert.

Die Friedrich-Wilhelms-Hütte an Mülheims Ruhr um 1910.
Die Friedrich-Wilhelms-Hütte an Mülheims Ruhr um 1910. © Stadtarchiv | Stadtarchiv

Roheisen aus dem Ruhrgebiet war 1964 international nicht mehr wettbewerbsfähig

Vor 60 Jahren ist die Friedrich-Wilhelms-Hüte Teil der Rheinstahl Hüttenwerke. Sie hat ihren letzten, 53 Meter hohen und 5,5 Meter breiten Hochofen erst 1956 angeblasen. „Zu der Hochofenstilllegung“, so schreibt diese Zeitung damals, „sah sich das Unternehmen aus wirtschaftlichen Erwägungen veranlasst. Durch die Maßnahme entstanden keine sozialen Härten für die Belegschaft.“ Die wirtschaftlichen Gründe für die Stilllegung des letzten Mülheimer Hochofens werden 1964 vor allem darin gesehen, dass die Herstellung einer westdeutschen Tonne Roheisen 271 Mark koste, während eine importierte Tonne Roheisen aus England, Finnland, Spanien und Südafrika bereits für 201 Mark zu bekommen sei. Erklärt wird der westdeutsche Wettbewerbsnachteil mit den mangelnden Verarbeitungskapazitäten und den damit verbundenen Ausfuhrsubventionen der Exportländer.

Der damalige Werksdirektor Birkenkämper erklärt im Gespräch mit der Lokalpresse: „Niemand wird bei uns auf die Straße gesetzt. Da wir den Termin der Stilllegung lange im Voraus kannten, hatten wir genügend Zeit, um für unsere Arbeitnehmer Vorsorgemaßnahmen zu treffen.“ So lässt diese Zeitung ihre Leserinnen und Leser am 9. Mai 1964 wissen: „Rund 100 Arbeitnehmer waren von sich aus abgekehrt, also in andere Unternehmen gewechselt. Blieben etwa 350 Kräfte, von denen 210 in andere, ihnen entsprechende Arbeitsplätze innerhalb der FWH vermittelt werden konnten. Weitere 60 Arbeitnehmer aus dem eisenschaffenden Bereich ließen sich freiwillig vorzeitig pensionieren. Rund 50 Belegschaftsmitglieder bleiben vorerst an ihrem bisherigen Arbeitsplatz, wo für die nächste Zeit noch eine Menge von Aufräumarbeiten zu erledigen ist. Später sollen diese Leute ebenfalls in ihnen zusagende andere Betriebspunkte überwechseln.“ Tatsächlich fällt der 96 Meter hohe Schornstein des letzten Mülheimer Hochofens erst im Dezember 1967.

In den 1960er-Jahren Fachkräftemangel in Mülheims Hütte: 180 freie Stellen

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Auch wenn Birkenkämper einräumt, dass die berufliche Zukunft von 34 betroffenen Stahlkochern zum Zeitpunkt der Stilllegung des Hochofens noch nicht geklärt ist, weist er darauf hin, dass die Hütte 180 freie Stellen hat, die noch zu besetzen seien. Auch damals, in Zeiten der Vollbeschäftigung, kennt man das Thema Fachkräftemangel und wirbt deshalb sogenannte Gastarbeiter an „Natürlich“, so sagt FWH-Chef Birkenkämper damals dem Reporter dieser Zeitung: „müssen die Leute jetzt erst mit ihren neuen Arbeitsplätzen vertraut gemacht werden. Das wird jedoch keine allzu lange Zeit beanspruchen.“

Fast 60 Jahre später wird die FWH 2023 eine 100-prozentige Tochter des Waffenherstellers KNDS, der aus einer Fusion der Waffenhersteller Krauss-Maffei Wegmann und Nexter hervorgegangen ist. Die Geschichte und der Strukturwandel des Mülheimer Traditionsunternehmens geht also weiter.

Die traditionsreiche Friedrich-Wilhelms-Hütte in Mülheim um 1890.
Die traditionsreiche Friedrich-Wilhelms-Hütte in Mülheim um 1890. © Stadtarchiv | Stadtarchiv
1954: Postkartenansicht aus dem Stadtarchiv mit den Ostruhranlagen und der Frriedrich-Wilhelms-Hütte.
1954: Postkartenansicht aus dem Stadtarchiv mit den Ostruhranlagen und der Frriedrich-Wilhelms-Hütte. © Stadtarchiv | Stadtarchiv
Die Friedrich-Wilhelms-Hütte im Winter 1940.
Die Friedrich-Wilhelms-Hütte im Winter 1940. © Stadtarchiv | Stadtarchiv
Nachtaufnahme der Mülheimer Hütte aus dem Jahr 1929.
Nachtaufnahme der Mülheimer Hütte aus dem Jahr 1929. © Stadtarchiv | Stadtarchiv

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