Mülheim. „Zu faul“, „vergessen“, „kein Kommentar“: Jeder sechste Mülheimer Lokalpolitiker hat keine Angaben zur Bekämpfung von Korruption gemacht.

Eigentlich ein Ding der Selbstverständlichkeit: Wer sich in einer politischen Funktion im Rat und seinen Gremien engagiert, sollte transparent darlegen, in welchen Beraterfunktionen, Aufsichtsräten und Vereinen, und in welchem Beruf er oder sie tätig ist. Und so bereits den Anschein von Korruption vermeiden. Auch Mülheim hat sich das NRW-Korruptionsbekämpfungsgesetz auf die Fahne geschrieben. Die Angaben sind verpflichtend. Doch nicht jeder Lokalpolitiker nimmt sie offenbar ernst.

277 Gremiumsmitglieder führt die Stadt auf, die allermeisten von ihnen haben bereitwillig Auskunft gegeben. Dort erfährt man zum Beispiel, in wie vielen Aufsichtsräten der OB von der Beteiligungsholding Mülheim bis zur Theodor-Fliedner-Stiftung unterwegs ist. Oder dass er keine Beraterverträge hat.

Warum die Angaben Mülheimer Politikerinnen und Politiker wichtig sind

Oder dass Grünen-Fraktionsvorsitzender Timo Spors im Orga-Team von Fridays for Future und im Aufsichtsrat der Ruhrbahn ist. Dass CDU-Bezirksbürgermeisterin Elke Oesterwind Vorsitzende im Beirat Kloster Saarn, Mitglied im Kommunalbeirat der Westenergie und Beisitzerin im Saarner Bürgerverein ist. Dass SPD-Fraktionschefin Margarete Wietelmann unter anderem im Aufsichtsrat des Theaters an der Ruhr, im Verwaltungsrat der Sparkasse und Mitglied im Speldorfer Bürger- und Kurverein ist. Und so weiter.

Die Angaben klingen vielleicht beiläufig, aber zeigen die Verflechtungen der ehrenamtlichen Politik mit der Mülheimer Stadtgesellschaft auf: Wo könnten Interessen bestehen, wo sogar Befangenheit? Wenn zum Beispiel ein Verein die Mittel einer Bezirksvertretung in Anspruch nehmen will, wenn im Rat über ein Bauvorhaben abgestimmt wird.

Bürger hakt nach: Auf welcher Grundlage treffen Politiker Entscheidungen

„Ich finde es als Bürger wichtig zu wissen, auf welcher Grundlage Lokalpolitiker ihre Entscheidungen treffen, die ja Auswirkungen in der unmittelbaren Nachbarschaft haben. Was Politiker auch an beruflichen Fähigkeiten dafür mitbringen“, sagt Udo Bommert, selbst engagierter Mülheimer. Er stellte im vergangenen Jahr eine Anfrage zum Korruptionsbekämpfungsgesetz an den Oberbürgermeister.

Denn er stellte fest: 47 Gremienmitglieder - also rund jedes sechste - hatten noch im vergangenen Mai 2023, zweieinhalb Jahre nach der Kommunalwahl, keinerlei Angaben im Sinne des Gesetzes gemacht. Verblüffender noch fand Bommert die Antwort des OB: Es bestehe eine Diskrepanz zwischen gesetzlicher Auskunftsverpflichtung und einer rechtlichen Handhabe für seine Durchsetzung.

Stadt sieht keine rechtliche Handhabe gegenüber Auskunftsverweigerern

Frei gesprochen: Wenn Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker nichts sagen wollen, kann selbst der Erste Bürger und Verwaltungschef der Stadt sie offenbar nicht dazu zwingen. Und Konsequenzen hat das ebenfalls keine - Landesgesetz hin oder her. Ist also die Korruptionsbekämpfung ein zahnloser Tiger?

Bommert zeigt sich irritiert: „Wir erleben ja immer wieder, wie ernsthaft und manchmal übertrieben Gesetze verfolgt werden. Dass man die eigenen Spielregeln hier aber nicht ernst nimmt, überrascht mich. Es gehört doch zur Glaubwürdigkeit von Politik, Transparenz herzustellen.“

Keine Auskunft gaben übrigens Gremiumsmitglieder aller Parteien von AfD, CDU, Grüne, Linke, MBI, Partei bis SPD - auch das hatte der Mülheimer so nicht erwartet. Ein knappes Jahr später und gut drei Jahre nach der Kommunalwahl hat sich das Bild zwar verändert, denn offenbar hatte Bommerts Anfrage dazu geführt, dass die Verwaltung mit einer freundlichen Erinnerung nachlegte.

Noch immer fehlen Angaben von 15 Gremiumsmitgliedern

Doch noch immer fehlen die Angaben von 15 Mitgliedern, mit je drei Fällen waren AfD, CDU und die Partei dabei, einmal SPD, FDP, MBI und Linke. Wir fragten daher nach den Gründen für das Versäumnis.

Der AfD-Stadtverordnete Alexander von Wrese sieht seine Partei als Vorreiter gegen Korruption. Doch drei AfD-Mitglieder tauchen mit ihren Angaben in der Liste der Stadt noch immer nicht auf.
Der AfD-Stadtverordnete Alexander von Wrese sieht seine Partei als Vorreiter gegen Korruption. Doch drei AfD-Mitglieder tauchen mit ihren Angaben in der Liste der Stadt noch immer nicht auf. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Einer der prominentesten unter den 15 ist der frühere AfD-Fraktionschef Alexander Von Wrese, der sich überrascht zeigt, dass seine Angaben nicht öffentlich auftauchen: „Ich gebe seit Beginn meiner politischen Ratsarbeit gegenüber verschiedenen Gremien meine Mandate, berufliche Tätigkeit vollumfänglich an“, erklärt dieser. Auch schaffe er in den sozialen Medien „maximale Transparenz“ und sieht die AfD in der „Vorreiterrolle“ als Partei gegen Korruption und Vetternwirtschaft.

Doch längst nicht alle seiner ehemaligen Kollegen können das beanspruchen: Zwei sachkundige Bürger für die AfD müssen das noch nachholen, wie die Fraktionsgeschäftsführung einräumt. Das Gesetz sei aber „wichtig, um Klarheit über die finanzielle Unabhängigkeit der einzelnen Abgeordneten zu gewinnen“, betont Mülheims AfD.

„Zu faul“, „vergessen“, „kein Kommentar“ - Antworten der Politik

Grundsätzlich stelle sich auch die FDP-Fraktion „konsequent gegen Korruption in allen Bereichen der Gesellschaft und unterstützt ausdrücklich die Umsetzung des Korruptionsbekämpfungsgesetzes“, antwortet sie. Nur in einem Fall hat man das wohl versäumt: Die Angaben obliegen der Einzelverantwortung, die Fraktion kontrolliere das nicht.

Die MBI-Fraktion will auf die Fragen der Redaktion nicht antworten - auch hier ist ein Mitglied der Auskunftspflicht nicht nachgekommen: Man solle sich an die Stadtverwaltung wenden, heißt es. Ansonsten kein Kommentar.

Andreas Preker-Frank (Die Partei) lobt spitzfindig das NRW-Gesetz: „Es könnten sich ja sonst Interessenvertreter in der mölmschen Politik tummeln.“
Andreas Preker-Frank (Die Partei) lobt spitzfindig das NRW-Gesetz: „Es könnten sich ja sonst Interessenvertreter in der mölmschen Politik tummeln.“ © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Nicht allzu ernst scheint es auch die Partei mit der Verpflichtung zu nehmen: Drei Gremiumsmitglieder sind noch säumig. Das Gesetz zur Korruptionsbekämpfung finde man gut, sagt die Ratsgruppe, verweist aber auf die „parteinterne Faulenquote“. Ihr prominentester Vertreter - Andreas Preker-Frank - rafft sich dennoch zu einer längeren, spitzfindigen Antwort auf: Transparenz sei wichtig, „denn es könnten sich ja ansonsten Interessensvertreter*innen von bösen Energiekonzernen oder von übermäßig Gülle verteilenden Agrarlobbys unbemerkt in der mölmschen Politik tummeln. Oder auch der Bau- und Immobilenwirtschaft, die dann irre Bauprojekte in Mülheim politisch beeinflussen.“ Preker-Frank sei dagegen nur durch die „Verschönerungslobby“ beeinflusst - als Initiator des Mülheimer Verschönerungsklubs - und will seine Angaben nachholen.

In der Post versandet?

Und manchmal scheint auch die Technik zu versagen: Zerknirscht meldet sich SPD-Frau Carina Feske. Offenbar habe sie die städtische Info nicht erreicht, die Auskünfte erteilen zu müssen, sagt die sachkundige Bürgerin: „Ich komme aber der Verpflichtung gerne nach.“

Und auch bei der CDU muss irgendwo die Kommunikation versandet sein: Die drei CDU-Vertreter hätten die Angaben gegenüber der Stadt gemacht. Der mögliche Fehler: per Post. Jetzt sollen die Angaben auf elektronischem Weg übertragen werden. „Ich werde diesmal prüfen, ob die Daten auch wirklich angekommen sind“, verspricht CDU-Fraktionsgeschäftsführer Hansgeorg Schiemer.

Korruptionsbekämpfung: So antwortet das NRW-Innenministerium

Und doch: Ohne das Nachhaken eines Bürgers und der Öffentlichkeit wäre hier wohl nicht viel passiert. Ist das Landesgesetz also ein zahnloser Tiger gegen Korruption, weil die Kommune keine Handhabe erhält, um dies vor Ort umzusetzen?

Auf Anfrage der Redaktion beim Land weicht das Innenministerium aus und verweist dagegen zurück an die Kommune: „Die Kontrolle der Einhaltung dieser Regelungen obliegt der jeweiligen Kommune in Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung. Da die Aufgabe der Kommunalaufsicht nicht im Ministerium des Innern liegt, können zu möglichen Sanktionen bei Verstößen auf kommunaler Ebene keine Aussagen gemacht werden.“

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