Mülheim. Die Fälle von Altersarmut häufen sich, auch in Mülheim. Die Caritas schildert dramatische Fälle und warnt eindringlich vor dem, was kommt.

„Das hier ist ein super einfaches Angebot. Man kann einfach kommen und bekommt ohne Papierkram ein warmes Mittagessen, und wenn man geht, nimmt man sich noch ein Care-Paket fürs Wochenende mit.“ Georg Jöres, Leiter des Caritas-Sozialdienstes steht in dem hellen Raum in der Seniorenbegegnungsstätte an der Aktienstraße und sieht sich zufrieden um. Voll ist es an den vier Tischen. Etwa 30 Menschen sitzen hier, um sich neben dem Essen auch ein paar warme Worte abzuholen.

„Wärmeinsel“ heißt der Mittagstisch für Bedürftige der Caritas, der jeden Freitag von 13 bis 14.30 Uhr stattfindet. Er wurde kurzfristig im September ins Leben gerufen, als das Land NRW verkündete, dass noch Mittel aus dem Stärkungspakt abzurufen sind. „Die meisten Menschen mit Grundsicherung oder kleiner Rente sind am Limit. Da ist man froh um jede Mahlzeit, die man geschenkt bekommt“, fügt Monika Schick-Jöres von der Stabsstelle Seniorenarbeit der Caritas hinzu.

Hochbetagten Mülheimern drohte nach Wohnungsverlust die Obdachlosigkeit

An den Tischen sitzen Menschen aller Altersklassen, von der Familie mit Kindern über minderjährige Geflüchtete bis hin zu Menschen in weit fortgeschrittenem Alter. Vor allem bei den Älteren verzeichnen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas eine steigende Not und gleichzeitig große Scham. Das geht so weit, dass Menschen ihre Miete nicht mehr zahlen können, oder schlichtweg keine neue Wohnung mehr finden, wenn sie nach dem Tod des Partners aus der Sozialwohnung ausziehen müssen, weil es das Gesetz so verlangt.

„Wir hatten gerade erst zweimal den Fall, dass Senioren ihre Wohnung verlassen mussten und keine neue, bezahlbare Wohnung gefunden haben“, erzählt der Sozialdienst-Leiter und rät dringend dazu, sich rechtzeitig zu melden. „Dann können wir noch was machen.“ In einem Fall lebt der Betroffene inzwischen im Pflegeheim, zu dem anderen Betroffenen ist der Kontakt abgerissen.

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Monika Schick-Jöres schildert einen weiteren bewegenden Fall. Die Nachbarin eines betagten Mannes hat sich gemeldet, sie mache sich große Sorgen und bitte um finanzielle Unterstützung für den Mann, dem es offenbar an allem fehle. „Wir wollen eine sorgende Nachbarschaft aufbauen, die mitbekommt, wenn jemand Hilfe braucht“, sagt sie. Georg Jöres fügt hinzu: „Mülheim wird immer älter. Was wir jetzt erleben, ist erst der Anfang. So wie es Kinder- und Jugendzentren gibt, bräuchte es eigentlich auch Zentren für Senioren.“ Monika Schick-Jöres geht noch einen Schritt weiter. Sie wünscht sich einen Senioren-Besuchsdienst, ganz ähnlich wie den Baby-Besuchsdienst. „Ab 75 werden Menschen zu Hause besucht“, schlägt sie vor.

Das ganze Leben lang auf eigenen Beinen gestanden und auf einmal bedürftig

In der Wärmeinsel herrscht derweil geschäftiges Treiben. Einige Anwesenden wechseln auffallend häufig die Tische. Wie sich herausstellt, handelt es sich um Ehrenamtliche. Einer von ihnen ist Jürgen Schwalb. Der 73-Jährige suchte eine sinnvolle Beschäftigung im Ruhestand, begleitete unter anderem als Inklusionshelfer ein autistisches Kind zur Schule. Nun kommt er jeden Freitag in die Wärmeinsel und übernimmt auch den Einkauf für die Care-Pakete. „Ich bringe die Leute zum Lachen und helfe ihnen, ihren Alltag zu vergessen“, sagt er und beschreibt die Menschen hier als „große Familie“.

Georg Jöres, Leiter des Caritas-Sozialdienstes, wünscht sich Seniorenzentren, ähnlich wie es sie für Kinder und Jugendliche gibt.
Georg Jöres, Leiter des Caritas-Sozialdienstes, wünscht sich Seniorenzentren, ähnlich wie es sie für Kinder und Jugendliche gibt. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Die Wärmeinsel ist nicht die einzige Möglichkeit in Mülheim, zu einer warmen Mahlzeit zu kommen. Eine Besonderheit ist aber sicherlich, dass die Caritas ein breites Beratungsangebot im Rücken hat und bei Bedarf vermittelt. „Speziell ältere Menschen sind oft digital abgehängt und wissen gar nicht, welche Hilfsmöglichkeiten es gibt“, sagt Nicole Sporys-Seidel aus der sozialen Beratung. Sie hatte erst neulich den Fall einer älteren Frau, die zeitlebens stolz auf ihre Eigenständigkeit war und ihre zwei Kinder allein durchgebracht hat. „Nun reicht die Rente trotz lebenslanger Arbeit nicht zum Leben und sie traut sich nicht, aufzustocken.“ In solchen Situationen wird oft der Lebensstandard über längere Zeit auf ein Minimum zurückgefahren. „Die Heizung bleibt aus, der Fernseher auch und gegessen werden nur noch Reis oder Nudeln“, beschreibt sie.

Die Mülheimer „Wärmeinsel“ gibt es noch bis März - dann geht das Geld aus

Die Wärmeinsel, in der auch einmal pro Monat Lebensmittelgutscheine ausgegeben werden, läuft noch bis zu den Osterferien Ende März. Danach gibt es keine weitere Finanzierung. „Wir hoffen natürlich, dass wir das Angebot mit Unterstützung der Stadt oder durch Sponsoren fortführen können“, sagt Georg Jöres. Nicht zuletzt, um Vereinsamung zu verhindern. „Ich komme wegen der Geselligkeit“, sagt eine 88-Jährige, die fast ihr ganzes Leben in Eppinghofen verbracht hat. Ihr Vorschlag für die Zukunft: „Wir könnten doch mal einen Tagesausflug machen.“ Einen Tag mal ganz rauskommen - das wär‘s.

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