Mülheim. Deutsche Männer lassen sich als Väter ausländischer Kinder eintragen – Behörden sind machtlos. Ein Mülheimer Fall zeigt, wie verheerend das ist.

Wenn ein Kind unverheirateter Eltern geboren wird, braucht es eine Vaterschaftsanerkennung. In der Regel ist das über drei Wege möglich: das Jugendamt, das Standesamt oder über einen Notar. In schätzungsweise 15 Fällen pro Jahr, die den Behörden meist nur per Zufall auffallen, gehen Sozialbetrüger in Mülheim letzteren Weg, um eine Gesetzeslücke auszunutzen. Ein in der Regel deutscher Mann ohne Erwerbstätigkeit (und damit ohne Unterhaltspflicht) erkennt die Vaterschaft des Kindes einer in der Regel ausländischen Frau und Mutter ohne permanentes Bleiberecht an. „Ein Phänomen, auf das wir aufmerksam machen möchten“, sagt Katrin Dente, Leiterin des Mülheimer Standesamtes. Das Perfide daran: „Obwohl wir um die falschen Angaben wissen, müssen wir die Beurkundung annehmen.“

Als eine von sieben Standesbeamtinnen trägt Dente die Vaterschaftsanerkennungen in die städtische Datenbank ein. So auch im Sommer 2022, als ein Fall sie stutzig machte. „Die Beurkundung vom Notar war etwas unüblich formuliert“, erklärt Katrin Dente. „Im Prinzip war haargenau der Duktus des Gesetzestextes wiedergegeben.“ Paragraf 1597a des Bürgerlichen Gesetzbuches regelt das Verbot der missbräuchlichen Anerkennung der Vaterschaft. So steht darin etwa geschrieben:

Gesetz benennt klare Anzeichen für missbräuchliche Anerkennungen

„Die Vaterschaft darf nicht gezielt gerade zu dem Zweck anerkannt werden, die rechtlichen Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes, des Anerkennenden oder der Mutter zu schaffen, auch nicht, um die rechtlichen Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes durch den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes [...] zu schaffen.“

Anzeichen für das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte einer missbräuchlichen Vaterschaft sind laut Gesetz etwa „das Bestehen einer vollziehbaren Ausreisepflicht des Anerkennenden oder der Mutter oder des Kindes“, „das Fehlen von persönlichen Beziehungen zwischen dem Anerkennenden und der Mutter oder dem Kind“ und „der Verdacht, dass der Anerkennende bereits mehrfach die Vaterschaft von Kindern verschiedener ausländischer Mütter anerkannt hat [...]“.

Im Mülheimer Standesamt fallen jährlich bis zu 15 Fälle missbräuchlicher Vaterschaften auf. Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher.
Im Mülheimer Standesamt fallen jährlich bis zu 15 Fälle missbräuchlicher Vaterschaften auf. Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. © FUNKE Foto Services | Michael Gohl

Mülheimer Mutter legte Rechtsbeschwerde vor Gericht ein

Im Fall aus 2022 seien gerade der Punkt der nicht bestehenden Ausreisepflicht seitens der Mutter im notariellen Schreiben und die Aussage des vermeintlichen Vaters, keine anderen Vaterschaften anerkannt zu haben, auffällig deutlich betont worden, wie Katrin Dente sich zurückerinnert. „Ich konnte schnell prüfen, dass der Mann schon in mehreren Fällen die Vaterschaft anerkannt hatte.“ Weil die Beurkundung auf falschen Angaben beruhte, setzte die Standesamtsleiterin den Eintrag aus und informierte das Amtsgericht. „Für den Eintrag wäre unter diesen Umständen eine Anweisung nötig gewesen und dafür brauchte es eine Prüfung.“

Über mehrere Wochen beschäftigte sich das zuständige Amtsgericht Duisburg mit dem Fall. „Die Mutter wurde schließlich eingetragen, der Vater nicht.“ Gegen den Beschluss des Duisburger Gerichts legte die Mutter Rechtsbeschwerde ein, die Sache landete vor dem Oberlandesgericht. Nach Aktenlage wurde dort, so Dente, „im Sommer 2023 zugunsten der Kindesmutter entschieden.“ Und das, so heißt es damals in der Urteilsverkündung, obwohl „alles dafür spricht, dass die Beteiligten die Beurkundung der Vaterschaftsanerkennung durch unwahre Erklärungen bewirkt haben“.

Mülheimer Standesbeamtin spricht von fehlender Handhabe

Nur, wie ist das möglich? „Es ist schlichtweg eine Gesetzeslücke“, erklärt Katrin Dente. Den Behörden fehlt die Handhabe, durch Ämter oder Notare beurkundete und anerkannte Vaterschaften anzufechten. Selbst dann, wenn klare Beweise dafür vorliegen, dass diese auf falschen Tatsachen beruhen. „Das Gesetz ist rein präventiv.“ Eine statistische Erhebung darüber, wie oft die Form von Sozialbetrug in Mülheim begangen wird, liegt laut Dente nicht vor. Jährlich fielen bis zu 15 Fälle auf, in denen Männer bei unterschiedlichen Notaren die Vaterschaft für bis zu zwölf Kinder verschiedener, ausländischer Mütter anerkannt haben. „Ich gehe aber davon aus, dass die Dunkelziffer erheblich höher ist, das bleibt oft unbemerkt.“

Wichtig zu betonen sei der Beamtin, dass sie niemanden unter Generalverdacht stelle oder eine persönliche Agenda verfolge. „Ich richte mich nur nach dem, was das Gesetz vorgibt.“ Mittlerweile habe sich herumgesprochen, dass die Anerkennung von Vaterschaften in den städtischen Behörden mit einer Prüfung einhergeht, „deswegen weichen viele auf den Notar aus“. Fallen im Standes- oder Jugendamt Unstimmigkeiten dieser Art auf, werde der Fall an die Ausländerbehörde gegeben. „Dort kann dann ein DNA-Test angeordnet werden.“ Ist aber die Beurkundung abgeschlossen, sind die Behörden nach derzeitiger Rechtslage machtlos.

Mülheimer Fall hat für Aufsehen gesorgt

„Es ist eine Ironie, auf die ich aufmerksam machen möchte“, erklärt Dente. Gerade der Fall aus 2022/2023, der vor dem Oberlandesgericht gelandet ist, „hat zumindest unter den Standesämtern für Aufsehen gesorgt.“ Doch längst sei das Thema nicht so präsent in der Öffentlichkeit, wie es eigentlich sein sollte.

Ordnungsdezernentin Anja Franke will das missbräuchliche Vaterschaften umfassend bekämpfen.
 
Ordnungsdezernentin Anja Franke will das missbräuchliche Vaterschaften umfassend bekämpfen.   © Stadt Mülheim

Das bekräftigt Mülheims Ordnungsdezernentin Anja Franke. Sie hat sich mit der Unterstützung der Standesamtsleiterin in die Problematik eingearbeitet. „Bis wir Lücken im System über ein Massenphänomen erkennen, vergeht viel Zeit und entsteht viel Schaden.“ Der finanzielle Nachteil, der Kommunen und dem Staat dadurch entsteht, lässt sich nicht beziffern, zu hoch sind die Dunkelziffer und andere Unwägbarkeiten. Umso wichtiger sei es daher, die Problematik bekannter zu machen. „Wir haben festgestellt, dass wir die Schwarmintelligenz brauchen und uns mit anderen Kommunen vernetzen müssen, um etwas zu bewegen“, so Franke.

Task-Force und LKA sind über die Problematik informiert

In der Task-Force des Landes zur Bekämpfung von Sozialbetrug sei die missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen bereits platziert worden, ebenso beschäftigt sich eine ressortübergreifende Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamtes damit. „Ich plane auch, das Thema bei der nächsten Sitzung des Städtetages im März anzubringen.“ Die Dezernentin spricht in diesem Zusammenhang von organisierter Kriminalität, „irgendwer muss die beiden Parteien zusammenbringen“.

Was der mögliche Anreiz der vermeintlichen Väter ist und wer die Mittler sind, da können sowohl die Dezernentin als auch die Standesbeamtin nur spekulieren. Jedenfalls hänge ein riesiger Rattenschwanz an dieser Form des Sozialbetrugs. Denn die Frage nach dem Bleiberecht ziehe in der Konsequenz allerhand Sozialleistungen nach sich, die sich durch falsche Angaben erschlichen worden sind.

Justizminister setzt Eckpapier zur Reform des Abstammungsrechts auf

Es handelt sich offensichtlich um kein reines Mülheimer Phänomen, mittlerweile ist auch der Bund auf die Gesetzeslücke aufmerksam geworden. In einem Eckpunktepapier aus dem Januar hat Bundesjustizminister Marco Buschmann die Reform des Abstammungsrechts in Deutschland angestoßen. Darin heißt es:

„Die Anerkennung der Vaterschaft kann gezielt gerade zu dem Zweck erklärt werden, um einem Elternteil oder dem Kind missbräuchlich ein Aufenthaltsrecht zu vermitteln. Bei den bisherigen Regelungen sind im Ergebnis einer Evaluierung Defizite erkennbar geworden. Die bestehenden Regelungen zur Bekämpfung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen sollen im Wege eines gesonderten Gesetzgebungsvorhabens verbessert werden. Diese Regelungen sollen auf die neu einzuführenden Mutterschaftsanerkennungen und Elternschaftsvereinbarungen erweitert werden. “

Das Abstammungsrecht soll reformiert werden, ein entsprechendes Eckpapier hat Justizminister Buschmann kürzlich veröffentlicht.
Das Abstammungsrecht soll reformiert werden, ein entsprechendes Eckpapier hat Justizminister Buschmann kürzlich veröffentlicht. © picture alliance / dpa | Uli Deck

Aus Sicht von Katrin Dente lässt das hoffen. „Wenn zum rein Präventiven das Anfechten hinzukommt, wäre das ideal.“ So wie die Gesetzeslage jetzt ist, müsse die Standesbeamtin auch bei bestätigtem Verdacht des Sozialbetrugs die Vaterschaft eintragen, solange das entsprechende Dokument vorliegt. Dezernentin Anja Franke setzt auf die Abschreckungswirkung, die auf eine Gesetzesänderung infolge des Eckpapiers kommen könnte. „Ich hoffe, dass dieses Verhalten dann unter Strafe gestellt wird und unsere Standesbeamtinnen nichts wider besseren Wissens eintragen müssen“.

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