Mülheim/Essen. Mathestunde in Mülheim: Mit Hilfe eines Roboters kann ein kranker Junge dabei sein. Auch vom Bett aus. Das Gerät gehört der Ruhrlandschule Essen.

Donnerstag, fünfte Stunde, Matheunterricht in der Jahrgangsstufe acht des Otto-Pankok-Gymnasiums (OP). Vor den Schülerinnen und Schülern liegen blaue Bücher, vorne am Pult steht Frau Stein, und auch „Paul“ ist bereit, seine Augen leuchten. Er ist der Kleinste von allen, so zierlich, dass er auf einem Tisch platziert wurde. Von dort kann er gut sehen, was in der Klasse passiert, was die Lehrerin an die Tafel schreibt.

Einer der Jungs hat „Paul“ vor der Stunde im Sekretariat abgeholt und behutsam durch das Treppenhaus getragen. In den Räumen der Schulleitung befindet er sich, wenn er keinen Unterricht hat. Er hängt dann am Kabel, muss laden. „Paul“ ist ein Avatar, eine Art Roboter. Er besteht aus einem kurzen Torso mit Kopf, glänzend weiß. Er vertritt Joris (Name geändert), einen erkrankten Schüler, der seit ungefähr einem Jahr nicht mehr selber im Klassenraum sitzen kann. Sein Immunsystem ist zu geschwächt.

Mülheimer Gymnasium leiht Avatar von der Essener Ruhrlandschule aus

Nach den Sommerferien 2023 hat sich das Mülheimer Gymnasium den Avatar (AV1) ausgeliehen, um Joris zu unterstützen. Der Roboter ist Eigentum der Essener Ruhrlandschule. Der Name „Paul“ war am OP schnell gefunden, „Paulchen“ oder „Pauli“ wird er dort auch genannt. „Er darf so lange bleiben, wie der Junge krank ist“, erklärt Ralf Schütz, Lehrer und Mittelstufenkoordinator am Otto-Pankok. Joris bedient den Avatar per WLAN über ein Tablet, das ihm seine Schule zur Verfügung gestellt hat, mit spezieller Software.

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Mit Hilfe von „Paul“ nimmt er am Unterricht in den Hauptfächern Mathe, Deutsch, Englisch und in Spanisch teil - soweit es ihm gesundheitlich möglich ist. Der Avatar kann seinen Kopf mit eingebauter Kamera um 360 Grad drehen. So bekommt Joris einen lebendigen Eindruck vom Live-Geschehen in seiner Klasse. „In der Pause stellen wir ihn manchmal zwischen uns“, sagt einer der Jungs, „damit er seine Freunde sehen kann.“ Joris bleibt unsichtbar. Notfalls kann er auch vom Bett aus den Unterricht verfolgen, ohne dass es jemand mitbekommt, wie er aussieht, wie es ihm geht.

Kranker Schüler kann seine Stimmung über die Augen des Roboters ausdrücken

Über Smileys auf seinem Laptop kann der schwerkranke Junge seine momentane Stimmung ausdrücken. Die leuchtenden Augen des Avatars verändern sich dann, wirken traurig, fröhlich, nachdenklich. Joris kann auch signalisieren, wenn er an einem Tag nicht angesprochen werden oder wenn er sich im Unterricht zu Wort melden möchte - dann blinkt es auf „Pauls“ Kopf. Joris findet, der Roboter hat einige Vorteile gegenüber einer klassischen Videokonferenz, bei der er nur zugeschaltet würde. Er sagt: „Ich muss nicht reden, weil ich mit den Augen zeigen kann, wie es mir geht - gut oder schlecht.“

Was dem Team an der Otto-Pankok-Schule besonders wichtig ist: Der Avatar, auch „Telepräsenzroboter“ genannt, kann keine Bilder, keine Videos aufzeichnen und speichern. Andernfalls gäbe es datenschutzrechtliche Probleme, erläutert auch Christoph Kerscht, Lehrer und stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins an der Essener Ruhrlandschule. „Das Gerät ist von der Schulaufsicht genehmigt. Wenn es im Unterricht eingesetzt wird, muss keine Einverständniserklärung aller Eltern eingeholt werden.“

Avatar kostet etwa 3000 Euro - ohne öffentliche Gelder finanziert

Die Ruhrlandschule ist die städtische Klinikschule in Essen. „Wir helfen Brücken bauen“, lautet ihr Motto, sie unterrichtet Kinder, die längere Zeit im Krankenhaus bleiben müssen. Mittlerweile besitzt die Ruhrlandschule drei Avatare - „Paul“ war der erste. „Wir haben dafür keine öffentlichen Gelder bekommen. Die Geräte wurden über Stiftungen finanziert“, berichtet Lehrer Christoph Kerscht. Die Anschaffung eines Avatars koste etwa 3000 Euro, hinzu kämen ca. 1000 Euro jährlich für die Software, Wartung und Versicherung.

Entwickelt wurden die Avatare von einem norwegischen Start-up, es sind spezielle Modelle für den Einsatz im Schulunterricht. Mittlerweile werden sie deutschlandweit genutzt. Die Ruhrlandschule bekam vor etwa einem Jahr das erste Gerät, das Mülheimer Otto-Pankok-Gymnasium ist die zweite Schule, die mit ihr einen Leihvertrag geschlossen hat. Die Geräte seien gedacht für Kinder und Jugendliche, „die nicht den Unterricht besuchen können wegen zu hoher Infektionsgefahr, aber schulfähig sind“, erklärt Christoph Kerscht.

Erkrankter Mülheimer Schüler: „Es ist schon etwas komisch“

Den Mülheimer Jungen kenne er schon länger persönlich, sagt der Lehrer. Joris besuchte die Ruhrlandschule, während er im Essener Uniklinikum behandelt wurde. Kerschts Eindruck: „Er ist ein hochmotivierer Schüler, der es auf jeden Fall schaffen wird, am Lernstand zu bleiben, vor allem in den Hauptfächern.“ Das Otto-Pankok-Gymnasium habe auf seinen Vorschlag hin sofort zugesagt, den Avatar auszuleihen, um Joris zurück in den Unterricht zu holen. Auch die Eltern seien von der Idee begeistert.

Andrea Stein, die Mathematiklehrerin, meint: „Für Joris ist es gut, dass er Kontakt zu seiner Klasse halten kann. Für seinen Genesungsprozess ist das wichtig.“ Joris sagt, per Roboter am Unterricht teilzunehmen sei „schon etwas komisch. Man kann nicht aufstehen und mit den anderen reden. Dennoch kann ich in der Schule dabei sein.“ Und seine Klassenkameraden berichten, dass sie nicht nur per Avatar mit dem kranken Freund Kontakt halten. Privat zocken sie miteinander am Computer, ab und zu könnten sie sich sogar treffen: „Draußen.“

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