Mülheim. Mülheim hat einen Sommer der Extreme hinter sich: Keller laufen voll, Bäume verdursten. Wird dies das neue Normal? Expertin gibt Antworten.

Auch wenn der Mülheimer Oktober noch einmal mit T-Shirt-Wetter weit über 20 Grad gelockt hat: Meteorologisch ist der Sommer schon am 31. August in den Jahresurlaub gegangen. Dabei hat Mülheim in diesem Jahr Sonne satt getankt, konkret „100 Sonnenstunden mehr als im langjährigen Mittel der vergangenen 30 Jahre“, hat Diplom-Meteorologin Ortrun Roll vom Deutschen Wetterdienst registriert. Und es war Sommer.

Hängengeblieben aber ist wohl bei vielen Mülheimer eher ein mausgrauer Himmel und – Regen. Und auch das ist berechtigt, wie Roll anhand der Daten bestätigen kann: 375 Liter Regen pro Quadratmeter fielen allein im Sommer, das sind rund 140 Prozent der Menge, die von Juni bis August gemeinhin üblich sind.

Schwere Unwetter im Sommer richteten in Mülheim viel Schaden an

Auch interessant

Mülheim hat das stellenweise besonders deutlich zu spüren bekommen: Als am 9. Juli ein kräftiges Unwetter über die Stadt zog, rückte die Feuerwehr allein an jenem Sonntag zu 50 Einsätzen aus. „70 Prozent davon hatten mit Wasser auf Straßen und Gebäuden zu tun, 30 mit umgestürzten Bäumen und abgeknickten Ästen“, schilderte Feuerwehrsprecher Florian Lappe.

Schwere Unwetter suchten Mülheim im Juli heim: In einer Senke am Frohnhauser Weg in Heißen hatte sich durch das Gewitter Wasser gesammelt und floss in die Keller.
Schwere Unwetter suchten Mülheim im Juli heim: In einer Senke am Frohnhauser Weg in Heißen hatte sich durch das Gewitter Wasser gesammelt und floss in die Keller. © Feuerwehr Mülheim

Die Gewitter mit starkem Regen und teilweise sogar Hagel hielten den SWB auch noch Tage später auf Trap, weil zahlreiche Keller vollgelaufen waren: In einer Senke lief das Wasser zusammen wie in einem See – und dann ins Untergeschoss. Viele Mieter haben dabei an den Regen und Schlamm verloren, was sie dort aufbewahrt hatten. Aus Sicherheitsgründen musste der SWB sogar vorübergehend den Strom in einigen Häusern am Frohnhauser Weg abstellen. Anschließend waren umfangreiche Sanierungen notwendig, weil etwa Türen, Beläge, Dämmungen, Isolierungen hinüber waren.

Regen hatte im Juli ebenso im Mülheimer Forum für kleinere Schäden gesorgt, betroffen waren Nanu Nana und schwerer noch der Buchhändler Thalia, der seinen Betrieb vor das Ladenlokal verlegen musste. In den Kleingärten an der Schenkendorfstraße stand der Schlamm zum Teil kniehoch auf den Wiesen, wie Laubenbesitzer erzählten. „Das Wasser kam in Schüben und innerhalb kürzester Zeit stand der Garten knietief unter Wasser.“ Kühlschränke, Musikanlagen, Möbel – alles lag im Modder.

Bis hierhin stand im Juli das Wasser in der Mülheimer Kleingartenanlage Schenkendorfstraße, zeigt Julia Wölk.
Bis hierhin stand im Juli das Wasser in der Mülheimer Kleingartenanlage Schenkendorfstraße, zeigt Julia Wölk. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Meteorologin: Mülheimer Juni 2023 war der wärmste seit Beginn der Aufzeichnung

Und es war Sommer – aber eben einer der Extreme, macht die Meteorologin Roll deutlich: Denn der Juni zuvor zeigte sich gleichzeitig als wärmster seit Beginn der Aufzeichnungen. 20,2 Grad hat die Wetterstation in Essen-Bredeney als Durchschnittstemperatur aufgezeichnet, einen Tick wärmer sogar als der Rekordjuni von 2019.

Aber auch insgesamt ist die durchschnittliche Temperatur im Vergleich der Jahrzehnte messbar gestiegen von 16,8 in den Jahrzehnten von 1961 bis 1990 auf 18 Grad (1991-2020) und aktuell 18,9 (2023). Dabei schlagen die vergangenen neun Sommer bereits mit Werten von 19 bis 20 Grad über das langjährige Mittel hinaus.

„Die Sonnenscheindauer hat sich deutlich erhöht, um fast 50 Sonnenstunden. Die Zahl der Sommertage und auch die Zahl der heißen Tage sind angestiegen. Dieser Trend der Erwärmung wird sich aufgrund des Klimawandels weiter fortsetzen“, prognostiziert die Meteorologin. Natürlich werde es trotzdem immer wieder mal Jahre geben, die außer der Reihe kühler sein könnten.

Mülheim in der Hitze-Krise: Stadtbäume würden weglaufen – wenn sie könnten

Der Temperaturanstieg war in Mülheim nicht nur mess-, sondern auch spürbar: Die Stadt ringt um den Erhalt ihrer Stadtbäume, die oft schon die ersten Lebensjahre nicht überstehen, wenn sie nicht verstärkt gegossen werden. Es fehlt das Geld. „Die Bewässerung von Grünflächen ist nicht Bestandteil der durch den Haushalt gedeckten Unterhaltungspflege“, sagt Sylvia Waage, Leiterin des Amtes für Grünflächenmanagement.

„Hat der Straßenbaum in der Klimakrise noch eine Chance?“, fragten wir den Forstingenieur Norbert Bösken. Seine Antwort: „Wenn er könnte, würde der Straßenbaum wegrennen.“ Mülheims Klimaanpassungskonzept steht seit vier Jahren – die Umsetzung? Ein langer Weg. Ein umfassender Hitzeaktionsplan fehlt, aber nicht nur in Mülheim.

Immerhin: Einen Hitzeknigge bietet die Stadt an, in dem nützliche Verhaltenstipps stehen, aber auch auf öffentliche Trinkwasserbrunnen in der Stadt hingewiesen wird. Obdachlose haben im Juni Erste Hilfe gegen Hitze erhalten. Das Grünflächenmanagement hat das Straßengrün vielfach auf trockenheitsliebende Pflanzen umgestellt. Auch Fördermittel für Dachbegrünungen stellte Mülheim zur Verfügung. Und doch griffen zunächst nur wenige Eigentümer auf die Möglichkeit zu.

Zoff entbrennt um Feuerwerk und sterbendes Oembergmoor

Auch interessant

Und auch Miniwäldchen nach japanischem Vorbild geraten in Mülheim in den Rubikon der Überlegungen, um den Hitzekollaps in der Stadt – ein „Schwülheim an der Ruhr“ – zu verhindern. Brachflächen, die vormals nur als mögliche Baugebiete für Investoren in Betracht kamen, weil bislang „Baurecht vor Baum-Recht“ galt, könnten auch klimatisch die ansonsten hohe Verdichtung abfedern.

Doch auch Mülheims Wälder waren in diesem Jahr wieder einmal so trocken, dass im Juni und Juli sogar die Waldbrandgefahrenstufe 4 erreicht wurde. Ärger gab es, als Abiturienten ihren Abschluss mit dickem Feuerwerk an der Stadthalle abfeierten – mitten in größter Dürre. Dafür sollte es erst keine Genehmigung gegeben haben. Später aber räumte die Stadt ein, es sei doch in Ordnung gewesen, schließlich sei der Pyrotechniker ein umsichtiger Profi gewesen und an der Stadthalle gebe es gar keine Wälder. Eine Genehmigung sei auch nicht notwendig.

Sie brachten das Sterben des Mülheimer Oembergmoores ins Licht der Öffentlichkeit: Dr. Dietrich Rohde, Detlef Habig (Saarner Umweltverein) und Eva Neulken (Saarner Umweltverein).
Sie brachten das Sterben des Mülheimer Oembergmoores ins Licht der Öffentlichkeit: Dr. Dietrich Rohde, Detlef Habig (Saarner Umweltverein) und Eva Neulken (Saarner Umweltverein). © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Die Dürre zeigte sich auch an Mülheims einzigem Moor am Oemberg. Engagierte Naturschützer machten auf den erschreckenden Zustand des Moores aufmerksam – und kassierten dafür erst einmal eine Ordnungswidrigkeit, weil sie das Naturschutzgebiet nicht hätten betreten dürfen. Ob dann aber das Siechtum überhaupt in den Blick der Öffentlichkeit gelangt wäre?

Während die Stadt eine Soforthilfe für das Moor ablehnte und mögliche Gegenmaßnahmen erst einmal prüfen will, ist Detlef Habig, Vorsitzender des Saarner Umweltvereins, schon in Richtung Düsseldorf unterwegs. Landesumweltminister Oliver Krischer hat sich dafür eingesetzt, dass Moore in NRW mit Landeshilfe geschützt werden sollen. Vielleicht auch das in Mülheim.

Die gute Nachricht: Trinkwasser wird in Mülheim nicht knapp

Auch interessant

Zumindest das Trinkwasser werde in Mülheim absehbar nicht zum knappen Gut. „Die Talsperren des Ruhrverbands im Sauerland – sie speisen mit das Wasser in der Ruhr – sorgen dafür, dass diese genügend Flüssigkeit zur Trinkwasseraufbereitung führt. Sie sind derzeit zu gut 80 Prozent gefüllt“, kann Ramon Steggink, Sprecher der Rheinisch Westfälischen Wasserwerke, berichten.

Von der Dürre aber ging es im August fast umstandslos in eine lange Niederschlagsperiode: Zwar lag auch in diesem Monat das Temperaturmittel über dem langjährigen Durchschnitt, wie die Meteorologin Ortrun Roll einordnet, doch es fiel die anderthalbfache Menge an Niederschlag als gemeinhin üblich. Die Bilanz des neuen Ruhrbadestrands: durchwachsen. „Und es war Sommer?“, fragten sich viele Mülheimer deswegen.

Abkühlung gefällig: Eine Herde von Rindern der Bauernfamilie Kamann hat im September in den Styrumer Ruhrauen ein Bad in der Ruhr genommen. Es war zu warm.
Abkühlung gefällig: Eine Herde von Rindern der Bauernfamilie Kamann hat im September in den Styrumer Ruhrauen ein Bad in der Ruhr genommen. Es war zu warm. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Als der Sommer in die Verlängerung ging

Von wegen. „Statt Herbstbeginn gab es im September eine Sommerfortsetzung“, sagt die Expertin. Der September 2023 wurde mit 20,2 Grad in Essen-Bredeney als wärmster September seit Beginn der Aufzeichnungen registriert. „Mit 230 Sonnenstunden wurden ungefähr die Hälfte mehr als normalerweise aufgezeichnet und es gab außergewöhnlich viele Sommertage mit Temperaturen über 25 Grad, nämlich elf Sommertage“, erläutert Ortrun Roll. So viele wurden lediglich im Jahr 1947 gezählt.

Kühler soll es in den kommenden Tagen werden, aber wird es auch richtig kalt – und die vielleicht wichtigste Frage: Gibt es endlich einmal weiße Weihnacht? „Was die Weihnachtstage anbelangt, liegt man statistisch immer recht gut, wenn man ,grüne Weihnachten’ prophezeit, aber dies ist natürlich keine echte Wetterprognose“, merkt Roll feinsinnig an. Denn einigermaßen zuverlässig lässt sich nur das Wetter für die nächsten fünf Tage bestimmen.

Generell aber zeichnet sich ab: Nicht nur die Sommer werden heißer, analog sind auch die Winter im langjährigen Mittel milder geworden; außerdem ist die Zahl der Frosttag und der Eistage gesunken.