Mülheim. Als das Unternehmen Gerstel seine neue Niederlassung in Mülheim baute, wählte es einen alternativen Weg. Wieso das die richtige Entscheidung war.
Ein blaues Straßenschild verrät es, Eberhard-Gerstel-Platz 1, hier sitzt die Firma Gerstel. Über einen gepflasterten Parkplatz führt der Weg in das fensterreiche Gebäude mit der hellen Fassade, hinter dem ein runder Turm aufragt. Weder auffällige Firmenlogos, noch andere Anzeichen deuten darauf hin, dass hier ein global aktives Unternehmen seinen Sitz hat. Und dass unter dem Parkplatz gleich 13 Löcher in 130 Metern liegen, die dazu beitragen, den Firmensitz mithilfe von Geothermie mit Energie zu versorgen, lässt sich noch weniger erahnen. Beim Neubau war das Unternehmen seiner Zeit weit voraus, nun steht es im Finale um den Mülheimer Wirtschaftspreis.
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„Als wir das Gebäude damals geplant haben, sollte es ursprünglich eine Ölheizung bekommen“, erinnert sich CEO Holger Gerstel zurück. Damals, „das war um 2004 und 2005 herum“, stand für den studierten Architekten fest, dass es irgendwie auch ohne fossilen Brennstoff als Hauptenergielieferant gehen muss. Naheliegend, dass sich ein Chemie-Unternehmen einen natürlichen chemischen Prozess zunutze macht, um daraus Energie zu gewinnen. Was für den Sohn des Unternehmensgründers so selbstverständlich scheint, war zur damaligen Zeit ein Wagnis, Pionierarbeit.
„Wir haben deutlich mehr investiert“, sagt der gebürtige Mülheimer. Ein Aachener Büro war mit den Berechnungen betraut, „zu der Zeit gab es kein anderes Gebäude in der Größenordnung, das auf Geothermie gesetzt hat.“ Das, was das Unternehmen an Aufpreis gezahlt hat – mehrere Hunderttausend Euro – sollte sich nach sieben Jahren amortisiert haben. „Es ging dann aber noch etwas schneller“, so Gerstel.
Das liegt vor allem daran, dass die Aachener in ihren Berechnungen von der Realität abgewichen sind, zu Gunsten des Mülheimer Unternehmens, das auf Automatisierungssysteme für Chemie-Labore spezialisiert ist. „Ursprünglich sollten 40 Prozent unseres Verbrauchs gedeckt werden, aber nach zwei Jahren waren es schon 60 Prozent.“ Bei einer Nutzfläche von mehr als 6000 Quadratmetern und etlichen Abteilungen – von Lager über Labor bis hin zu Büroräumen – sicherlich ein Gewinn. „Wir haben vom Lager bis in die Chef-Etage Bodenkühlung und Bodenheizung“, sagt Holger Gerstel nicht ohne Stolz.
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Das Handeln im Sinne der Nachhaltigkeit hört an dieser Stelle aber nicht auf. „Nachhaltigkeit ist immer dann einfach umzusetzen, wenn es der Ökologie und der Ökonomie zuträglich ist“, sagt Geschäftsführer Peter Wiersdörfer, der seit 2019 bei Gerstel tätig ist. Und so trifft sich jeden zweiten Mittwoch eine Projektgruppe mit dem Titel „Go Green“; Mitarbeitende aus allen Unternehmensbereichen kommen zusammen und sprechen über Projekte und Ablaufoptimierungen, die das Unternehmer nachhaltiger machen und setzen diese um.
Mülheimer Unternehmen will in mehreren Bereichen nachhaltig sein
„Wir haben zum Beispiel viele Vorschläge aus der Belegschaft bekommen“, sagt Marcel Wolff. Darunter eine Blühwiese auf dem Parkplatz, Nistkästen für Vögel, aber auch das Optimieren von Prozessen um etwa weniger schädliche Chemikalien nutzen zu müssen. Wolff, der bei Gerstel für das Qualitätsmanagement zuständig ist, möchte in diesem Jahr noch die ISO 14001-Zertifizierung von seiner Liste streichen. ISO 14-was? „Das ist eine Norm zum Umweltmanagementsystem. Wer die Anforderungen erfüllt, bekommt sie beim TÜV.“ Läuft alles nach Plan, kann das Unternehmen Ende des Jahres mit der Zertifizierung rechnen.
In Sachen sozialer Nachhaltigkeit setzt das Unternehmen auf Firmenevents, alternative Arbeitszeitmodelle und Weiterbildungen. „Wir investieren in diesem Bereich eine sechsstellige Summe“, sagt Marketing-Leiterin Brenda Isenbügel. Eine Work-Life-Balance-Richtlinie erleichtert das Nehmen zusätzlicher Urlaubstage bei Bedarf und ein Verhaltenskodex klärt die sozialen und moralischen Rahmenbedingungen, denen sich das Unternehmen verschreibt. „Wir nehmen da auch unsere Lieferanten und Kooperationspartner in die Pflicht“, sagt Holger Gerstel. „Wir als mittelständisches Unternehmen können einiges tun, mitziehen müssen aber alle.“