Mülheim. Folie und Farbreste werden nicht weggeworfen, Haare gesammelt: Bei „Hair Artistic“ in Mülheim läuft vieles anders. Ein Blick hinter die Kulissen.
Es ist noch gar nicht so lange her, da lief die Waschmaschine im Salon „Hair Artistic“ quasi durchgehend – „so etwa zehn Wäschen am Tag im Schnelldurchlauf“, erinnert sich Friseurmeisterin und Inhaberin Angela Brabänder (56) zurück. Mittlerweile nur noch ein bis zwei Mal – nasse Haare müssen die Kundinnen und Kunden im Laden am Ruhrquartier aber nicht befürchten. Die Umstellung auf Einmalhandtücher aus kompostierbaren Pflanzenfasern geht nicht zu ihren Lasten. „Nein, nein, unser Kundenwohl steht an erster Stelle“, sagt Brabänder.
Es ist nur eine Veränderung von vielen, die die Geschäftsfrau angestrengt hat, um ihren Friseursalon nachhaltiger zu gestalteten. Als eines von fünf Unternehmen steht „Hair Artistic“ nun im Finale des Mülheimer Wirtschaftspreises. „Wir freuen uns sehr, dass sich unsere Philosophie rumgesprochen hat“, sagt Angela Brabänder, um im gleichen Atemzug zu ergänzen: „Nachhaltigkeit ist für mich eine Lebenseinstellung, privat und geschäftlich.“
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Schon immer, sagt die gebürtige Niedersächsin mit sizilianischen Wurzeln über sich selbst, habe sie sich „tierisch“ über herumliegenden Müll und andere Umweltsünden aufgeregt. Als sie dann 1985 in die Lehre zur Friseurin ging, merkte sie, wie viel Abfall im laufenden Betrieb produziert wird, aber auch, dass sie es mal irgendwann besser machen will. Mit der Selbstständigkeit kam dann auch die Nachhaltigkeit, zumindest machte sie die ersten Anfänge dazu. „Klar, ich musste auch lernen, was geht und was nicht. Vieles ist schlicht nicht praktikabel.“
Vieles aber eben doch. Und mit den Jahren immer mehr. „Es tut sich wirklich was“, sagt Angela Brabänder, während sie durch ihren Salon mit den hohen Decken läuft. Ihr Ziel: eine schwarze Styroporkiste. Darin ein großer Haufen an zugeschnittenen Streifen aus Alufolie, wie sie beim Friseur üblich sind. „Statt die benutzten Folien wegzuschmeißen, können wir sie recyclen.“ Beim Anbieter „Recfoils“ erwerben teilnehmende Salons handelsübliche Alufolie, mit einem entscheidenden Unterschied. Die Folie wird gesammelt und vom Unternehmen recycelt. Bevor es diese umweltschonende Lösung gab, behalf sich Brabänder anders: „Da haben wir Papier statt Alufolie beim Färben benutzt. Das war auch Müll, aber Papier ist da besser als Alufolie.“
Mülheimer Friseursalon setzt auf korrekte Entsorgung und Zweitverwertung
Neben der Folie aus Aluminium werden auch Dosen für Haarspray und andere Produkte gesammelt. Sind sie erst mal von den Kappen und Sprühköpfen aus Plastik befreit, macht sie das recycelbar. „Es kostet nicht viel Zeit und hat einen großen Effekt“, sagt Angela Brabänder. Ähnlich wie bei den Resten an Haarfarbe, die tagtäglich in einen großen Tiegel gegeben werden, statt als Chemikalien im Abfluss runtergespült zu werden. Denn das, so die erfahrene Friseurmeisterin, sei gängige Praxis. „Wir sammeln die Reste und geben sie ein Mal im Monat als Sondermüll ab.“
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Zwar auch gesammelt, aber längst nicht als Sondermüll, werden die Haare, die den Kundinnen und Kunden abgeschnitten werden. „Da kommt einiges zusammen“, sagt die 56-Jährige, während sie einen Karton – natürlich ein wiederverwendeter, in dem ursprünglich die Handtücher aus Pflanzenfasern angeliefert wurden – öffnet. Blond, brünett, bunt, alles ist dabei, die Farbe aber egal. Das Unternehmen „Hair Help the Oceans“ hat etliche Partnersalons, die ihm geschnittenes Haar zusenden. Aus dem entstehen dann sogenannte Haarfilter, mit denen Meere von Öl befreit werden. „Durch ihre natürliche Struktur können Haare Fett aufnehmen“, erklärt Angela Brabänder. „Ein Kilo Haar kann acht Liter Öl aufnehmen.“
Mülheimer Friseurin will ihr Wissen und Tipps aus der Praxis weitergeben
Mülheimer Wirtschaftspreis
Fünf Unternehmen aus Mülheim haben in diesem Jahr die Chance, den ersten Mülheimer Wirtschaftspreis zu gewinnen. Die Stadt will in diesem Jahr wissen, welcher Betrieb sich auf besonders kreative und vielfältige Weise auf Nachhaltigkeit fokussiert. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert.
Die feierliche Preisverleihung findet am 3. November am Flughafen im Luftschiffhangar der WDL-Gruppe statt. Die Finanzierung des Events erfolgt durch Sponsoren, die WDL-Gruppe stellt beispielsweise die Location kostenlos zur Verfügung. Vergeben wird der Mülheimer Wirtschaftspreis durch Oberbürgermeister Marc Buchholz.
Und auch hier ist die Friseurmeisterin überzeugt: „Der Aufwand ist für uns klein, der Effekt aber sehr groß.“ Ohnehin ein Prinzip, von dem die Unternehmerin überzeugt zu sein scheint. Denn als Dozentin an der Deutschen Friseurakademie hat sie viel Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen, aber auch zu Auszubildenden. „Ich versuche, mein Wissen in dem Bereich und die Bedeutung von Nachhaltigkeit weiterzugeben.“ Als Multiplikatorin setzt Brabänder darauf, dass sich die positiven Effekte im Schneeballsystem rumsprechen und verbreiten. „Je mehr mitmachen, um so mehr bringt es.“
Wer denkt, dass hier das Maximum in Sachen Nachhaltigkeit rausgeholt ist, irrt. Selbst die soziale Komponente des gefühlten Modebegriffs ist der Oberhausenerin ein Anliegen. Bereits seit anderthalb Jahren arbeiten die neun Angestellten in der Vier-Tage-Woche dienstags bis freitags von 9 bis 20 Uhr. „Wir sind aber flexibel und passen die Öffnungszeiten bei Bedarf an.“ So wie aktuell, denn bald steht ein Betriebsausflug an, die Chefin lädt das Team in ihre italienische Heimat ein, „einfach, um mal was zurückzugeben“.