Mülheim. In Mülheims City, neben Hähnchen Becker, eröffnen zwei Freunde einen Plattenladen. Sie sagen: „Die Lage ist okay.“ Ein erster Blick in den Shop.
Das Schaufenster am Dickswall 4, gleich neben Hähnchen Becker, ist auf einmal verlockend dekoriert. Leute bleiben stehen. Schauen herein, wenn die Ladentür zufällig offen steht. Was gibt’s denn hier? Vinyl? Daniel Lehmann und Marc Sander müssen die Neugierigen leider noch wegschicken, auf Samstag vertrösten. Dann öffnet ihr „Plattenjunk’s Record Store“.
Am 23. September um zehn Uhr soll es losgehen. Welche Scheibe sich dann als Opener auf dem Plattenteller drehen, das Geschäft beschallen und die ersten Besucher positiv stimmen soll, haben die beiden Freunde noch nicht final entschieden. „Auf jeden Fall fangen wir nicht direkt so hart an, nicht mit Metal oder Punk“, sagt Daniel Lehmann (38), obwohl er selber in diesen Genres zu Hause ist. „Vielleicht die Stones oder etwas Soul/Funk“, überlegt Marc Sander (39). Die Auswahl hier ist jedenfalls breitgefächert, und es sind fast ausnahmslos klassische schwarze Schallplatten aus zweiter Hand.
Neuer Mülheimer Plattenladen öffnet zunächst nur samstags
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„Plattenjunks“, süchtig nach Musik, sind Marc und Daniel erklärtermaßen selber. Beide stammen aus Duisburg, kennen sich seit Teenagerzeiten und hätten auch ohne den Laden wenig Leerlauf. Daniel lebt inzwischen in Düsseldorf und ist Wirtschaftsredakteur bei einem Fachverlag, Spezialgebiet: Steuern. Marc wohnt in Dinslaken, arbeitet als Techniker im Casino Duisburg, Drei-Schicht-Betrieb, und hat außerdem einen kleinen Sohn. Seit August sei er in Teilzeit, erzählt er.
Das Geschäft starten die beiden nebenberuflich, verlässlich geöffnet ist es zunächst nur samstags von 10 bis 15 Uhr (am ersten Tag bis 18 Uhr). Nach Absprache ist auch zu anderen Zeiten An- und Verkauf möglich. Aktuelles wird auf Instagram (platten.junks) gepostet.
Freunde sind selber langjährige Vinyl-Sammler
„Aus einer Bierlaune heraus“ sei die Idee entstanden, einen Laden zu eröffnen, sagen die beiden. Solide gewachsen ist aber ihre Zusammenarbeit in Sachen Musik. Früher sind sie oft gemeinsam zu Konzerten und Festivals gegangen, privat sammeln sie schon lange Tonträger. Im August 2021 hätten sie erstmals eine umfangreiche Sammlung angekauft, berichtet Daniel Lehmann, und seit etwa anderthalb Jahren verkaufen sie gebrauchte Platten über die Online-Plattform „Discogs“. Sie sagen: „Was wir damit verdienen, geben wir wieder für unsere eigenen Sammlungen aus.“
Mit einer Auswahl ihres reichen Bestandes haben sie nun den Laden bestückt. Die Scheiben, die alle vorher durch eine Spezialwaschmaschine gingen, stehen in selbst gezimmerten Ständern und Regalen, grob nach Sparten getrennt, bis ins Letzte alphabetisch sortiert. Wie in Vor-CD- und Vor-Streaming-Zeiten kann man sie durchblättern, Interessantes herausziehen und vor Ort gleich auflegen lassen - es gibt eine Hörstation mit Kopfhörern.
Sortiment reicht von Black Sabbath bis Sam Smith
Eine größere Abteilung ist dem Jazz gewidmet, weitere Schwerpunkte liegen auf Metal (von Black-Sabbath-Klassikern bis zu aktuellen Thrash- oder Death-Metal-Produktionen), Punk und New Wave ab den späten siebziger Jahren sowie Hip-Hop-Scheiben der „Golden Era“, die also mindestens ein Vierteljahrhundert gereift sind. Deutsche Künstler sind hier ebenfalls vertreten: Cro, Sido, Fanta Vier, Eco Fresh. Im „Plattenjunk’s“ hat aber auch Miley Cyrus ihren Platz, Måneskin oder Sam Smith. Volksmusik, Schlager, Techno bleiben dagegen außen vor.
Preislich bewege sich das Sortiment etwa zwischen zwei und 600 Euro, sagt Daniel Lehmann: „Hier gibt es jede Menge Platten unter zehn Euro.“ Etwa in den Schnäppchen-Kisten gleich neben der Eingangstür, bodennah platziert: Hier geht man in die Knie vor alten Otto-Waalkes-Scheiben oder schrägen Samplern. Preislich höher angesiedelt und bequemer erreichbar ist die „Bares für Rares“-Box mit Sammlerstücken für teils dreistellige Summen.
„Wir stehen einfach auf Musik und wollen das mit anderen teilen“
Marc Sander und Daniel Lehmann gehen ihr neues Business betont entspannt an: „Wir stehen einfach auf Musik und wollen es mit anderen teilen.“ Das finanzielle Risiko schätzen sie als gering ein: „Wenn’s gar nicht läuft, haben wir eine dreimonatige Kündigungsfrist“, sagt Daniel, „und sitzen auf einem Berg Platten, der was wert ist.“ Für den Standort am Mülheimer Dickswall spricht aus seiner Sicht mehreres: „Die Lage direkt am Bahnhof ist okay, die Miete geht auch in Ordnung, und unseres Wissens gibt es zurzeit keinen Plattenladen in Mülheim.“ Seit der Shop zur Straße hin sichtbar ist, hätten schon viele Leute nachgefragt.
Eine besonders seltene Scheibe hängt gleich neben der Kasse an der Wand. Das erste und einzige Rap-Soloalbum von Marc Sander aka Mc Fly, „Der mit dem Flow tanzt“, aufgenommen vor rund zehn Jahren mit kreativer Unterstützung mehrerer Freunde, darunter Daniel Lehmann. Der Künstler ließ, wie er berichtet, nur ein einziges Exemplar dieser Platte pressen, nicht ahnend, dass sie eines Tages seinen eigenen Shop verschönern sollte. Im Gegensatz zu anderen Raritäten im Laden ist diese LP unverkäuflich.