Mülheim. Reger Andrang herrscht am Freitagmittag vor dem Vinylbus in Mülheim-Heißen. Warum Besucher für rare Pressungen geduldig Schlange stehen.
Das Paradies auf Erden steht für Schallplatten-Fans am Freitagmittag ganz eindeutig im Gewerbegebiet Mülheim-Heißen: Hier rollen die Autos rollen ab halb zwölf auf den Parkplatz von Paul Ottos Geschäft „Impulstreu“. Eine halbe Stunde später ist der Parkplatz voll mit Autos aus Mülheim und Umgebung. Und er wird es an diesem Tag noch lange bleiben. Beim Aussteigen jedoch gibt es durchweg enttäuschte Mienen, denn vom Vinylbus mit den versprochenen 3.500 Platten ist nichts zu sehen. Was ist passiert?
Zum Glück nichts Schlimmes: Der Bus steht ausnahmsweise in einer riesigen Halle, wo der Mülheimer Paul Otto, Besitzer von „Impulstreu“ und „ton:media“, die Besucher mit kostenlosem Kaffee der Mülheimer Rösterei „Pottschwarz“ aus Saarn begrüßt. Doch die fast durchweg männlichen Kunden über fünfzig nehmen sich dafür zunächst keine Zeit. Ihr Objekt der Begierde, der Vinylbus, steht ja nur wenige Schritte entfernt.
3500 Platten an Bord, manche Raritäten müssen aber vorbestellt werden
3.500 Vinyl-Platten hat Michael Lohrmann dabei, für jeden Geschmack etwas, nur nicht Klassik, Schlager oder Volksmusik. Vier Kunden haben vorbestellt, Spezielles von „Sportfreunde Stiller“ und der niedersächsischen Grunge-Band „Union Youth“, aber auch von der US-amerikanischen Heavy-Metal-Band „Danzig“.
Lohrmann kann zwar aus einem reichhaltigen Fundus von gut 30.000 Exemplaren wählen, weiß aber natürlich nicht, was welcher Kunde in Mülheim gerade sucht. Die meisten in der sich schnell bildenden Schlange wollen einfach gucken, hoffen auf Entdeckungen wie bei einem Trödelmarkt.
Noch bis Ende Oktober auf Tour
Der Vinylbus ist noch bis Ende Oktober auf Tour. Am 28.10. geht’s nach Bielefeld. Am Freitag, 29.10., kehrt Lohrmann mit seinen Platten zurück nach Bochum. Von 11 bis 18 Uhr ist er bei HiFi Liedmann, Harpener Hellweg 22 zu finden.
Alle Infos und Tourdaten unter: www.vinylbus.de
„Mal sehen, welche Lücke ich heute füllen kann in meiner Sammlung“, sagt der Oberhausener Martin Simmert und bleibt gelassen. Fast 1.000 Platten besitzt er zwar schon, hauptsächlich Punk Rock und Indie Rock. „Aber gucken will ich schon.“ Ein Sammler hat ja quasi immer Bedarf nach mehr.
Während er mit seinem Nachbarn und Freund noch wartet, verlässt der erste erfolgreiche Kunde schon kurz nach zwölf mit einem dicken Packen LPs (Langspielplatten) unter dem Arm den Bus. „Super Auswahl!“, ruft er Lohrmann zu und strahlt. „Ich komme auf jeden Fall das nächste Mal wieder“, versichert der Duisburger Karsten Frölich und macht seinem Namen alle Ehre.
Platten ab 5 Euro – da lacht das Sammlerherz
Die Mülheimerin Christiane Wagner will ebenfalls wiederkommen, obwohl sie diesmal nicht fündig wurde. „Eine Platte von Black Sabbath“, sagt sie, „aber die hatte ich letztens schon in Köln gekauft.“ Auch dort schließt inzwischen längst ein Plattenladen nach dem anderen, bedauert sie.
Diese Lücke versucht Michael Lohrmann mit seinem Vinylbus zu schließen, weshalb er vor allem die Orte anfährt, die keinen Plattenladen mehr haben. Von September bis Mai ist er seit 2019 unterwegs, unterbrochen durch den Lockdown, den er allerdings zum Ankaufen nutzen konnte.
Im Sommer wird man Lohrmanns Vinylbus hingegen vergebens suchen, denn obwohl der ehemalige Schulbus aus Florida stammt und heiße Temperaturen gewöhnt ist, erhitzt sich das Wageninnere leicht auf 45 Grad, worunter die Platten leiden würden.
„Guck mal, was ich gefunden habe!“, ruft ein Sammler noch im Aussteigen aus dem Bus seiner Frau zu und hält ihr ein Cover mit Nina Hagen vors Gesicht. „Da ist sogar „Unbeschreiblich weiblich“ drauf!“, sagt er verzückt und zieht sie in die erste Etage, um den Song von 1978 gleich auf einer Anlage von „Impulstreu“ vorzuführen. Dort sitzen schon einige andere, die ihre Neuerwerbungen auf einem Plattenspieler genüsslich feiern und sichtlich Sitzfleisch mitgebracht haben.
Zufriedene Kunden, die unbedingt wiederkommen wollen
Norbert Armbrust aus Duisburg gehört allerdings nicht zu ihnen. Er war der Erste vor Ort im Bus, gleich um halb zwölf. Etwas außer Atem lässt er sich nach dem erfolgreichen Streifzug durch das gut sortierte Plattenparadies einen Kaffee schmecken, ist aber merklich in Eile. „Ich freu mich auf’s Wochenende, will ja einiges davon hören!“, sagt er und nickt erklärend zum neben ihm liegenden Plattenstapel, und trinkt hastig. „Hätte nicht gedacht, dass der solch eine Auswahl hat.“