Mülheim. Seit Jahren drängt Mülheims Energiedienstleister Medl auf mehr Windkraftanlagen am Styrumer Ruhrbogen. So viel klimaneutraler Strom wäre möglich.
Seit das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz – kurz Lanuv – seine lang erwartete Windkraft-Potenzialanalyse für NRW abgegeben hat, ist nicht nur Ernüchterung in den Glauben an eine Energiewende eingekehrt. Vielmehr ist der Druck auf die Kommunen gestiegen, regenerative und damit klimaneutrale Energiegewinnung selbst entwickeln zu müssen. Wenigstens zwei Standorte könnten in der Stadt entwickelt werden.
Null weitere Windkraftanlagen hatte dagegen die Analyse des Lanuv der Ruhrstadt in Aussicht gestellt, dabei sind längst zwei weitere beim Regionalverband und der Bezirksregierung Düsseldorf im Gespräch. Beide sind auch bereits im Regionalen Flächennutzungsplan von 2009 als Konzentrationszonen für Windenergieanlagen eingetragen.
Energiewende in Mülheim: zwei Standorte wären einfach umzusetzen
Auch interessant
Das eine Gebiet liegt südlich der bestehenden Anlage auf der großen Ruhrinsel und könnte eine ähnlich große Ausbeute von fünf Millionen Kilowattstunden im Jahr erzielen wie im Energiepark Styrumer Ruhrbogen, schätzt Energiepark-Geschäftsführer Marius Schreckenberg.
Und sogar ein drittes wäre denkbar. Das könnte auf einer Fläche weiter südlich am Kolkerhofweg stehen. Aktuell werde diese Fläche als zusätzliche mögliche Nutzfläche für weitere Klärbecken vorgehalten. Denn vor Jahrzehnten plante man noch mit Mülheim als stark wachsende Großstadt. Inzwischen sei aber klar, dass man das Areal in dieser Größenordnung angesichts eher stagnierender Einwohnerzahlen wohl absehbar nicht brauchen werde.
So viele Tonnen CO2 könnte die Windkraft für Mülheim einsparen
An die 2000 Mülheimer Drei-Personen-Haushalte kann das bislang einzige Windkraftrad mit Strom versorgen, sprich 6000 Menschen. Jedes weitere liefert in etwa dieselbe Menge, ist der Mülheimer Energiedienstleister Medl als Hauptbeteiligter überzeugt. Und weiter ließen sich 5500 Tonnen CO2 sparen – pro Anlage. Dabei ist längst nicht mitgerechnet, dass im Umfeld der Anlagen weiterer Strom auch durch Photovoltaik erzeugt werden könnte, wie es rund um das erste Windkraftrad schon in Planung ist.
Also reichlich Potenzial für die Erneuerbaren. Und doch treten die Gespräche seit Jahren auf der Stelle. Selbst unter der drastisch wachsenden Klima- und Energiekrise kann Medl-Chef Hendrik Dönnebrink keinen Durchbruch vermelden: „Der Regionalverband und die Bezirksregierung Düsseldorf verhandeln noch immer.“
Energiewende in Mülheim – mehr zum Thema:
- Mülheim will hektarweise Flächen für Solarstrom freiräumen
- Mülheim auf dem Weg zur Klimaneutralität – wieder einmal
- Nachhaltigkeit: Diese Wege zeigt Mülheims Klimaregler-Messe
- Energiewende oder Klimaschutz: So gut ist der Kompromiss
- Mülheim könnte massig Sonnenstrom ernten: Woran es hakt
Die eine Fläche wird noch durch einen Landwirt bewirtschaftet. Bis auf die benötigte Fläche für die Anlage und einen Bereich für den Aufstellkran, könnte dies auch weiterhin geschehen. Die zweite Fläche gehört zum Klärwerk und müsste entsprechend abgetreten werden – zumindest für solange, bis diese gebraucht würde.
Medl-Chef unternehmerisch frustriert vom „Ping-Pong-Spiel“ der Institutionen
Auch interessant
Woran die lange Verhandlungszeit hängt? Medl-Geschäftsführer Dönnebrink ist von dem zähen Prozess „unternehmerisch frustriert“. Er erklärt: „Wir haben das vor drei Jahren angetriggert, und noch immer ist es ein Ping-Pong-Spiel zwischen Institutionen, dem Bund, Land. Man muss sich inzwischen ketzerisch die Frage stellen: Haben wir nun ein gesellschaftliches Energie- und Klimaproblem, oder nicht?“
Für Dönnebrink ist die Frage eindeutig mit „ja“ zu beantworten. Doch in das Ping-Pong-Spiel kommt nun ein dritter Spieler: die Kommune. Wenn auch das Land keine Potenziale ausweist, könnte im Einzelfall Mülheim selbst solche Flächen bestimmen, indem es etwa Abstandsregeln anders festlegt – so überlässt das Land die schwierigen Gretchenfragen der Stadt.
Mülheimer SPD-Fraktion will in einen heißen Klima-Herbst starten
Auch interessant
In diese Debatte will die Mülheimer SPD-Fraktion nach den Sommerferien einsteigen und die wirklichen Möglichkeiten der Kommune hinterfragen: „Welche Risiken im Hinblick auf möglicherweise erhöhte Rechtsrisiken sieht die Stadt, wenn sie mit anderen Bewertungskriterien an die Flächenbewertung herangeht als es das Lanuv getan hat“, will sie unter anderem im Umweltausschuss beantwortet haben.
Müsste die Stadt dafür einen Bürgerdialog organisieren, um darauf hinzuwirken, dass es zu keinen Rechtsstreitigkeiten kommt? Und sollte das Aufstellen von mehr Windkraftanlagen schwierig werden, lassen sich diese Defizite durch Flächen-Photovoltaikanlagen kompensieren? Nicht zuletzt stellen die Genossen die Frage, wie lange der Prozess von der Suche nach Flächen bis zur Inbetriebnahme dauern kann – denn auch am Windkraftausbau hängt die Frage, ob Mülheim die Klimaneutralität bis 2035 einhalten kann.
In der Energie- und Klimafrage dürfte die Politik damit in einen heißen Herbst starten. Medl-Chef Dönnebrink sieht den politischen Diskurs allerdings mit Skepsis: „Ich sehe das aus der Perspektive der Praxis. Es darf nicht bei Schaufensteranträgen bleiben.“