Mülheim. Legt Mülheim bei der Energiewende den Turbo ein? Für die denkmalgeschützte Siedlung Heimaterde liegt ein Konzept vor. Es gibt Freude und Skepsis.
Legt Mülheim bei der Energiewende jetzt den Turbo ein? Auf der Heimaterde könnte sich das erstmals beweisen. Nach einem ersten kategorischen Nein und einer zehn Jahre langen Debatte über Photovoltaik-Anlagen auf den denkmalgeschützten Hausdächern hat die Stadt nun einen ausgefeilten Kompromiss vorgelegt. Mehr geht nicht - sagt die Behörde und sieht sich deutschlandweit als Vorreiter. Die Siedlervereinigung Heimaterde lobt dies, spricht aber von einem ersten Schritt...
Und so stellt sich der städtische Denkmalschutz den Kompromiss vor: Grundsätzlich sind Solarpanels dort möglich, wo sie straßenseitig nicht einsehbar sind, etwa auf der Garten- oder Rückseite der historischen Häuser. Oder auf Carports, rückseitigen Balkonen und Anbauten. Straßenseitig aber bleiben Panels verboten - mit Ausnahme zum Beispiel an der Kleiststraße.
Komplizierte Denkmalregelung: Panels nur nach ästhetischen Gesichtspunkten
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Für einen großen Teil der rund 200 denkmalgeschützten Häuser etwa an der Kolumbusstraße, Max-Halbach-Straße, Bremersfeld und Finkenkamp gilt dieser Kompromiss. Sinn der Vorgabe ist es, trotz Panels eine „einheitliche Dachlandschaft“ zu erhalten, die die Denkmalschutzbehörde als gestalterisches und kulturell zu erhaltendes Prinzip ansieht.
Was den Kompromiss jedoch kompliziert macht: Die Behörde stellt gleichzeitig einheitliche Bedingungen für die Anordnung von Panels auf Dächern auf. Mit möglichen Nachteilen für den Ertrag - und damit für die Wirtschaftlichkeit solcher Anlagen. Denn straßenweise zusammenhängende Häuser müssen Panels in gleicher Weise anordnen. Wenn ein Eigentümer am Finkenkamp seine Panels mittig in einer Reihe auf Höhe des Dachfensters anlegt, sind alle anderen Eigentümer an diese Anordnung gebunden, unabhängig davon, ob sich praktisch auch Panels höher, tiefer oder in mehreren Reihen anlegen ließen.
Und wenn jemand an der Max-Halbach-Straße die Panels im Quadrat anordnete, müsste der nächste es ihm gleich tun. „Die Eigentümer müssen sich untereinander abstimmen“, forderte Melanie Rimpel, Abteilungsleiterin der unteren Denkmalschutzbehörde, zur Versammlung der Siedlergemeinschaft Heimaterde ein. Dort wurde der Kompromiss vorgestellt.
Macht der Denkmalschutz Solaranlagen unwirtschaftlich?
Ausnahmen gibt es: In einigen Fällen erlaubt die Behörde auch straßenseitige Panels, sofern auch hier ästhetische Regeln beachtet werden. Bei Dächern mit Gauben wie an der Buschkante sind sie nur oberhalb der Gaube etwa als „Band“ möglich – selbst wenn daneben noch Platz für weitere wäre.
Besonders deutlich wird die Lücke zwischen Wirtschaftlichkeit und Denkmalschutz an der Kleiststraße, wo die Hausdächer teils in süd-östlicher und nord-westlicher Richtung quer zur Straße angeordnet sind und es streng genommen keine „Dach-Rückseite“gibt. Hier darf nur das hintere Drittel des Daches mit Panels belegt werden, dafür aber zu beiden Seiten – wenn es bei dieser Ausrichtung Sinn macht. Doch zwei Drittel der Dachfläche bleiben ungenutzt, um das Erscheinungsbild nicht zu stören.
„Nennen Sie mal den Ertrag“, forderten Siedler zur Versammlung deshalb immer wieder vom Denkmalschutz, der sich aus gutem Grund den städtischen Klimamanager Felix Wingold an die Seite geholt hatte. Seine Berechnungen fielen nicht einmal schlecht aus: Mit einem Band über den Gauben – etwa an der Buschkante – sollen acht Module mit einer Nennleistung von 3,2 Kilowattpeak möglich sein. Das sind etwa 2773 Kilowattstunden Strom im Jahr.
Wo der Kompromiss Ungleichheiten erzeugt
Zwölf Module auf einem rückseitigen Anbau an der Kolumbusstraße sollen dagegen 4,8 kWp (etwa 3900 Kilowattstunden im Jahr) bringen können. Im Vergleich: Ein vierköpfiger Haushalt wird mit einem durchschnittlichen Verbrauch von 4400 Kilowattstunden veranschlagt.
Doch solche Erträge gibt es freilich nur mit sehr leistungsstarken und auch teureren Modulen von 400 Watt pro Stück, oft aber werden schwächere, weil günstigere Einheiten verlegt. Die Einschränkung einer einheitlichen Verlegung nach ästhetischen Gesichtspunkten verringert also den Ertrag an nicht wenigen Stellen deutlich.
Mülheim und die Energiewende – so läuft die Debatte
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Und: An manchen Ecken der Siedlung – so an Teilen der Kolumbusstraße und am Sonnenweg – sind keinerlei Solarpanels erlaubt. Stattdessen aber werden hier und auch grundsätzlich bei allen historischen Siedlungsgebäuden sogenannte Solardachziegel erlaubt, doch nur in gewölbter Form. Die seien jedoch enorm teuer, noch in der Pionierphase und auch nicht einfach zu bekommen, wendet Matthias Darnieder, Vorsitzender der Siedlervereinigung, ein.
Noch ein anderer Faktor könnte für Missstimmung in der Siedlung sorgen: Den denkmalgeschützten Gebäuden stehen auch solche direkt gegenüber, die neu sind und daher keinerlei Auflagen haben.
Stadt sieht sich als Vorreiter: Keine Kommune gehe bisher weiter
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Schafft der Kompromiss die Anreize, bei der Energiewende mitzuziehen? Immerhin waren zum rappelvollen Infoabend rund 140 Siedler interessiert daran, die Ernüchterung aber spürbar. Mehr gehe nicht – warben Denkmalschutzbehörde und Bauaufsicht um Verständnis. Denn zwar habe der Bund dem Ausbau der erneuerbaren Energien den Vorrang eingeräumt, doch der Denkmalschutz in NRW habe „Verfassungsrang“, erläutert Energie- und Umweltdezernent Felix Blasch. Und ließe sich durch die Bundesvorgabe nicht aushebeln – hier wäre also das Land in der Verantwortung, diese zu ändern.
„Wir gehen mit diesem Vorschlag weiter als alle anderen Denkmalbehörden in Deutschland“, betont Amtsleiterin Melanie Rimpel. Und schaffe auch die rechtliche Grundlage gegenüber Einwänden der Landesdenkmalbehörde und bei möglichen Klagen gegen Verstöße beim Denkmalschutz. Die Siedlervereinigung begrüßt den Vorstoß der Stadt, glaubt aber, dass sich in den kommenden Jahren noch manches in Richtung Energiewende weiter verschieben werde: „Es ist ein erster Schritt...“, sagt ihr Vorsitzender Matthias Darnieder.