Mülheim. Die negative Potenzialanalyse des Landes stellt die Stadt vor ein Dilemma: Wenn Mülheim Windkraft ausbauen will, muss es Regeln biegen.

Macht die Windkraftanalyse des Landes einen Strich durch die Ausbaupläne der Kommune? Mülheim hat einen enormen Energiehunger, den die Stadt klimaneutral mit erneuerbaren Energien von Sonne und Wind stillen müsste. Doch für die Windkraft stellt eine aktuelle Potenzialstudie des Landes fest: null Potenzial. Mülheim steht damit vor mehreren Dilemmata.

Das erste Dilemma: Schon seit Jahren will die Medl-Tochter „Energiepark Styrumer Ruhrbogen“ (50,1 % Anteil) die erneuerbare Energie im Styrumer Ruhrbogen ausbauen. Eine zweite Anlage auf dem angrenzenden Gelände, das dem Regionalverband Ruhr gehört, ist seit einem Jahr in der Prüfung. Damit ließen sich nach Schätzungen der ESR rund 3500 weitere Haushalte in Mülheim versorgen. Bislang hat es hier noch keinen Durchbruch gegeben, wenn auch Marius Schreckenberg, Geschäftsführer des Energieparks, von aktuellen Gesprächen weiß: „Wir liegen auf der Lauer, was sie ergeben haben.“

Mülheimer Flughafen: keine Windkraft im Umfeld bis zu 15 Kilometern

Zwar spielen auch Abstandsflächen zu Wohnbebauung und Naturschutzgebieten eine Rolle für das bislang lahme Ausbautempo. Doch zusätzliche Orte für Windkraft konnte die Stadt bisher auch deshalb nicht ausweisen, weil die bereits für die Windkraft festgelegte Vorrangfläche im Styrumer Ruhrbogen in der Vergangenheit weitere Windkraft anderswo ausgeschlossen hatte. Städte wie Mülheim erhofften sich daher ein starkes Signal des Landes.

Dagegen liest sich die NRW-Potenzialanalyse des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) ernüchternd: Über das bestehende Windkraftrad hinaus, sieht das Lanuv kein Potenzial. Zusätzliche Flächen wie etwa am Flughafen Mülheim-Essen schließt die Studie aufgrund des Flugbetriebs im Umkreis von vier Kilometern sogar generell aus, und im Umkreis von 15 Kilometern sei ein Bau von Anlagen nur in Einzelfällen möglich.

Wurden die Potenziale für Mülheim zu wenig ausgeschöpft?

Nach „Deutschland-Tempo“ klingt das noch nicht. Auffällig dabei: Mit nur 1,7 Prozent der Flächen in NRW bleibt das Land deutlich unter der gesetzten Marke im Bund, rund zwei Prozent der Flächen für Windkraft nutzen zu wollen. Auch beim Aufrüsten von bestehenden Anlagen – dem „Repowering“ – gäbe es laut Studie Probleme, denn höhere Anlagen an gleicher Stelle würden dann möglicherweise die bisherigen Abstände zu einer Wohnbebauung unterschreiten.

Doch das Mülheimer Beispiel macht auch deutlich, dass längst nicht alles ausgeschöpft wurde, was möglich wäre. Zu diesem Fazit kommt das Lanuv ebenso: „Tatsächlich dürfte in der Praxis durch eine detaillierte Berücksichtigung der Gegebenheiten vor Ort und eine optimale Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Flächen bei der Planung von Windparks oft eine höhere Anlagenanzahl, eine größere Leistung und ein höherer Ertrag realisierbar sein.“

Analyse soll Planung der Städte nicht ersetzen

Ein Sprecher des Lanuv macht deutlich: Das Ruhrgebiet sei mit seiner dichten Bebauung ohnehin schwierig für Windkraft. Dennoch ersetze die Potenzialanalyse des Lanuv keine kommunale Planung. „In einem konkreten Planungsprozess vor Ort kann das durchaus anders ausschauen, da Mülheim die Möglichkeit haben könnte, beispielsweise Abstandsregeln anders auszulegen, als in der Potenzialstudie“, so ein Sprecher des Landesamtes.

Auch die Fläche des Flughafens - sofern dort ab 2034 nicht mehr geflogen würde – sei für eine künftige Windkraftnutzung für die Stadt nicht ausgeschlossen und auch planbar, weil man nur den aktuellen Status berücksichtigt habe.

Nach der Studie: Schwarzer Peter liegt nun bei den Kommunen

Damit allerdings könnte der Schwarze Peter nun bei den Kommunen liegen – das zweite Dilemma: Denn in der Potenzialstudie wurde angenommen, dass Windenergieanlagen mindestens 500 Meter entfernt von Wohnbebauung errichtet werden dürfen. Mülheim müsste also selbst entscheiden, wo dieser Abstand unterschritten werden kann – notfalls gegen erbitterte Widerstände aus der Bürgerschaft und gegen Naturverbände.

So landet die Ausbauverantwortung mit möglichem Konflikt am Ende auf dem Schreibtisch von Umwelt- und Energiedezernent Felix Blasch. Der zeigt sich vorsichtig optimistischer also noch im vergangenen April im Umweltausschuss: Denn nun weiß Blasch, dass das Lanuv „mit einem etwas größeren Bewertungsraster gearbeitet hat, als wir das tun. Daher werden wir wahrscheinlich auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen“.

Mülheims Energiedezernent will aktiv nach neuen Flächen suchen

Potenzial sieht Blasch weiterhin auf den Vorrangflächen am Styrumer Ruhrbogen. Dabei müsse es jedoch nicht bleiben, rechnet der Energiedezernent mit zusätzlichen Flächen, die sich aus weiteren Änderungen für den neuen Regionalplan ergeben können. An solchen arbeite der Regionalverband Ruhr. Denn die Vorgaben aus dem „Wind-an-Land“-Gesetz der Bundesregierung sind noch gar nicht vollständig berücksichtigt. Unter anderem ist darin vorgesehen, dass etwa landesspezifische Abstandsregeln außer Kraft gesetzt werden können, wenn ein Bundesland die Flächenziele nicht erreicht.

Kann Mülheim seinen Energiehunger nun doch mit mehr Windkraft stillen? Im Umweltausschuss im April hatte Blasch lokalpolitisch den Startschuss erhalten, mehr Orte für Windkraft aufzuspüren und der Politik bis Ende 2023 vorzustellen. Daran arbeite man nun: „Ich gehe davon aus, dass wir voraussichtlich Anfang 2024 ein Ergebnis haben, das wir mit der Politik beraten können.“

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