Mülheim. Sie wollen endlich Arbeit finden – eine, die ihnen und ihrer Familie eine echte Perspektive bietet. Wie schwer das ist, erzählen Mülheimerinnen.
Eines wissen die arbeitssuchenden Frauen aus Mülheim ganz genau: Ihre Kinder sollen nicht denken, dass sie faul sind und sich auf Sozialleistungen ausruhen. Vorbilder wollen die Mütter sein. Doch eine reguläre Anstellung zu finden, ist als Alleinerziehende oder als Mama von fünf Kinder alles andere als einfach.
Nein, sagt die Frau mit den dunklen Haaren, eine Ausbildung habe sie nicht. „Nur Kinder“, schiebt sie lachend hinterher: „Fünf!“ Shaimaa sieht ihre große Familie keinesfalls als Makel, mancher Arbeitgeber aber anscheinend schon: Als Mutter, zumal als mehrfache, sei sie schon oft abgeblitzt, sei wohl als weniger zuverlässig abgestempelt worden, sagt die Frau aus dem Irak. Seit sieben Jahren lebt sie in Deutschland, hat die Sprache gelernt und sich dafür stark gemacht, dass ihre Kinder eine gute Schulbildung bekommen.
Mülheimer Mutter von fünf Kindern will arbeiten: „Bin niemand, der nur zuhause sitzt.“
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Drei Söhne und zwei Töchter hat Shaimaa, ihre Kinder sind zwischen elf und 20 Jahre alt. Ihr Mann besuche die zweite Maßnahme, von der Agentur für Arbeit vermittelt. Das Geld für die siebenköpfige Familie sei knapp – nicht nur deshalb will Shaimaa arbeiten gehen. „Ich bin niemand, der nur zuhause sitzt.“ Einen Minijob bei Netto hatte sie, erzählt die gebürtige Irakerin. Sicher, etwas Geld hat der in die Familienkasse gespült. Aber eine echte Perspektive? Die sah sie bei dem Discounter nicht.
Also machte sie sich auf die Suche nach einer festen Anstellung mit mehr Stunden. Monate habe sie gesucht, aber immer nur Vollzeitangebote bekommen. „Dabei kann ich wegen der Kinder im Moment nur Teilzeit arbeiten“, sagt die 39-Jährige. In ein paar Jahren, wenn auch die Jüngeren noch selbstständiger geworden sind, sehe das anders aus.
Nur mit Glück habe sie einen Teilzeitjob bekommen, dessen Verdienst Shaimaa in Ordnung findet und der sie wohl auch über die nächsten Jahre tragen wird: „Ich arbeite in einer Restaurantküche, das gefällt mir sehr gut.“ Noch sei sie in der Probezeit, doch die Chancen stünden gut, übernommen zu werden.
Und obwohl ihre Aussichten gerade gut sind, ist Shaimaa zur Infoveranstaltung gekommen, zu der die Agentur für Arbeit und das Jobcenter Mülheim unter dem Motto „Walk & Talk“ in die Müga eingeladen hatten (siehe Infobox). Denn sich auszuruhen auf dem, was sie bislang geschafft hat, würde der Irakerin nicht reichen: „Man muss sich kümmern, sonst kommt man nicht weiter.“ Ihre Hartnäckigkeit, sich einen Job zu erkämpfen, bekämen auch ihre Kinder mit. Nichts ist ihr wichtiger, als ihren Söhnen und Töchtern ein Vorbild zu sein.
31-jährige Mülheimerin ist alleine mit drei Jungs und will Teilzeitausbildung machen
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Das treibt auch Tajana an. Die 31-Jährige zieht ihre drei Jungs im Alter von elf, zehn und neun Jahren alleine groß. Weil sie früh Mutter geworden ist, sei zunächst keine Zeit für eine Ausbildung gewesen. Das will sie nun nachholen und strebt eine Weiterbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation an, die sie in Teilzeit absolvieren kann. Bei Null muss die Styrumerin dabei nicht anfangen, denn sie hat sieben Jahre im Einzelhandel gearbeitet, hat das Büro ihres Schwagers, der ein Geschäft hatte, gemanagt, wie sie erzählt.
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Dann aber kam Corona: Der Laden war dicht und Tajana hatte keinen Job mehr. Jetzt will die Alleinerziehende ihre Zukunft in die Hand nehmen. Ihre Motivation erklärt die Mülheimerin so: „Arbeit findet man immer, aber ich will was Sinnvolles machen und später was in der Hand haben.“ Zudem würden ihre Kinder nun in einem Alter sein, in dem sie nachfragen und mehr verstehen: „Sie sollen mir später nicht vorwerfen können, ich hätte nichts aus meinem Leben gemacht.“ Bei dem Spaziergang durch die Müga holt sie sich nicht nur Tipps von Marion Steinhoff von der Arbeitsagentur und Brigitte Otto vom Jobcenter, sondern tauscht sich auch mit anderen Müttern aus.
Frauen sind teils hoch qualifiziert, doch ihre Berufserfahrung wird nicht anerkannt
Diesen Austausch untereinander, das Netzwerken finden die beiden Fachfrauen mindestens genauso wichtig wie ihre Ratschläge, die sie den arbeitssuchenden Frauen mitgeben. „Wenn eine von ihnen es geschafft hat, ist das ein Ansporn für die anderen“, weiß Marion Steinhoff, die bei der Arbeitsagentur Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt ist. Frauen in Anstellungen zu bringen, die ihr Auskommen sichern und nicht nur einen Hungerlohn abwerfen, ist ihre Herzensangelegenheit.
Einige der Frauen, die bei dem Beratungsspaziergang dabei waren, hatten in ihren Heimatländern schon Berufe, sind teils hoch qualifiziert als Ingenieurin oder Programmiererin. Inwiefern ihre Vorbildung angerechnet wird, auch das werden die Beraterinnen unter die Lupe nehmen.
In ihrer Heimat Gambia war sie Immobilienmaklerin, hier sucht sie vergebens einen Job
Infos für diejenigen, die in den Beruf (zurück) möchten
Die Bewerberinnen buchstäblich da abholen, wo sie sind, hat sich Marion Steinhoff von der Mülheimer Agentur für Arbeit zur Aufgabe gemacht, wenn sie mit ihrer Beratung im Stadtgebiet unterwegs ist.
Besonders niederschwellig soll das Angebot sein und auch Arbeitsuchende ansprechen, die ansonsten den Gang zum Amt scheuen.
Die nächsten Walk & Talk-Termine: Dienstag, 27. Juni, 9.30 - 11 Uhr, Müga-Gelände, Treffpunkt Parkplatz am Ringlokschuppen, Am Schloss Broich 38, sowie Donnerstag, 3. August, 9.30 - 11 Uhr, Treffpunkt Arche-Park „Tiergehege Witthausbusch“, Pettenkoferstraße 3. Kontakt zur Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt, Marion Steinhoff: Oberhausen.BCA@arbeitsagentur.de.
Dass ihre Berufserfahrung in Deutschland nicht anerkannt wird, musste Khadijatou erfahren. Die 36-Jährige hat in Gambia als Immobilienmaklerin gearbeitet, erzählt sie. Doch weil die Wirtschaft in ihrem Heimatland nicht stabil sei, kam sie 2016 nach Deutschland. Nachdem sie die erforderlichen Sprachkurse absolviert hat, schildert die Frau, sei sie als Hilfe in ein Altenheim vermittelt worden. „Ich mag die Pflege, aber das bin nicht ich“, sagt sie vehement. Kommunikation sei ihre Stärke, sie spreche mehrere Sprachen, wirbt sie für ihre Talente. Sie hat versucht, eine Ausbildung zu finden in dem Bereich, in dem sie Erfahrung hat – vergebens.
Schnell sei sie als Schwarze, die zwar gut, aber nicht perfekt deutsch spricht, in eine Schublade gesteckt worden, berichtet die alleinerziehende Mutter eines Vierjährigen von ihren Erfahrungen. „Ich werde beurteilt anhand meiner Sprache und nicht anhand meines Inneren“, zeigt sie sich enttäuscht und spricht vom Kampf mit Ämtern. Aber Khadijatou will sich nicht unterkriegen lassen und schmiedet weiter Pläne: Sie will ein Tagespflegenest aufmachen. „Ich bin gerade dabei einen Businessplan zu schreiben.“ Welche Chancen es für sie gibt, das werden nach dem Spaziergang durch die Müga nun die Beraterinnen von Arbeitsagentur und Jobcenter ausloten.